- 88 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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der Hintergrundmusik und um die Frage, in welchen Punkten sich möglicherweise die Rezeption durch Fahrgäste von jener der sog. »Randgruppen« unterscheiden mag. Wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, erklingt am Hachmannplatz (und in den U-Bahnhöfen) ein Mix aus nicht allzu komplexer klassischer Musik, der durch Auswahl und Anordnung der Stücke auch eine polyvalente Rezeption erlaubt. Wie bereits oben erwähnt, fehlen leider absolute Angaben zur Lautstärke. Die Musik am Hachmannplatz klingt zwar ein wenig lauter als in den U-Bahnhöfen, vermag aber z. B. von einem vorbeifahrenden Bus leicht übertönt zu werden. Trotz Digital-Receiver erklingen die Mitten betont, was wohl entweder an der Bauweise der Lautsprecher liegt oder an der Verwendung eines 100 Volt-Systems, welches die Mitte des Frequenzbandes in der Regel etwas anhebt. Die bereits in der Beschaffenheit des »streams« angelegte Komplexitätsreduktion wird somit durch die Akustik noch verstärkt. Helga de la Motte-Haber schreibt:

»Zum Wesen und Unwesen der Hintergrundmusik gehört, daß sie an die elementaren Verstehensprozesse anknüpft. Sie erfordert nur eine rudimentäre Form des Musikhörens, bei dem die unmittelbare Wirkungen die Hauptsache sind und die höheren informationsverarbeitenden Vorgänge zurücktreten.«82

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Motte-Haber (1996) 217.

Selbst Fortschritte auf dem Gebiet der neurophysiologischen Lokalisierung der zerebralen Verarbeitung von Klangereignissen83

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Vgl. Kapitel 5.
können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hörtheorien kaum annähernd in der Lage sind, die auditive Wahrnehmung in all ihrer Komplexität zu erfassen.84
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Vgl. Kleinen (1999) 1839.
Um eine hier relevante, rudimentäre Form des Musikhörens begreifbar zu machen, sei exemplarisch die Systematik Günter Kleinens zitiert, die eine qualitative Differenzierung der Wahrnehmung in fünf (aufsteigenden) Schritten vorsieht:

  1. Pattern-Matching: klischeehafte Einordnung des Gehörten, Erkennen von »eigener« oder »fremder Musik« bzw. weiter vereinfacht: »Ist das Musik?«
  2. Einsortieren in gebräuchliche Kategorien: die Identifikation bestimmter Merkmale (Sounds, Klänge, Bewegungsmuster, Verlaufsformen), Zuordnung in typische Genres, Gattungen, Stile.
  3. Individualisierung der Wahrnehmung: Ausloten der Besonderheiten einer Komposition, strukturelle Wahrnehmung, Erkennen der Besonderheiten der Interpretation eines Stücks, Überwindung von Klischees, Einflussverlust sozialer Faktoren u. medialer Manipulation, Begreifen der Kunst musikalischer Komposition und Interpretation als Grundlage von Ausdruck u. Kommunikation des Menschen.
  4. Einfühlung und Imagination: Begreifen der Musik als facettenreiche Metapher im Sinne z. B. von Natur, menschlicher Lebenswelten, Menschenwerk oder von anthropologischen Qualitäten.
  5. Intensives Aufgehen in der Musik: Vergessen der Zeit, Aufheben der Realität, Glückserlebnisse, existenzielle Aussagen.85
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    Kleinen (1994) 17.


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