- 79 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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7. Schlussritual
Bei klassischen Konzerten, Opern und Musicals ist der Beginn des Schlussrituals meist bereits im Voraus kodiert durch den feststehenden Programmablauf, der sich vor oder während des Konzertes dem Programmzettel entnehmen lässt. Begleitet wird die Einleitung des Schlussrituals, wie auch bei vielen Rock- und Popkonzerten, durch Licht- und Vorhangschoreografien bzw. das Abgehen der Musiker von der Bühne. Durch die Länge und Stärke des Schlussapplauses entscheidet sich, ob noch Zugaben folgen, meist sind sie fest eingeplanter Bestandteil. Das Schlussritual ist auch deshalb bemerkenswert, weil hier ein scheinbares Überwinden der Kluft zwischen den Beteiligten des Konzertrituals erfolgt. Es stellt den Versuch dar, »die Spaltung der Gemeinschaft in Handelnde und Produzierende auf der einen Seite, in Rezipierende auf der anderen Seite zu überwinden und eine Einheit der beiden am Ritual beteiligten Gruppierungen zu suggerieren.«63
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Rösing/Barber-Kersovan (1997) 143.

8. Zurückfinden in den Alltag
Das Publikum wird meistens recht abrupt in den Alltag hinausgelassen, Verzögerungen ergeben sich beispielsweise durch das Warten an der Garderobe. Doch gibt es auch retardierende Momente: das Warten auf die Musiker vor dem Bühnenausgang oder der Besuch einer Premierenfeier. Diese gelten der Verlängerung des Konzertrituals.

Jegliche Art von Konzertritualen folgt mehr oder weniger fest kodierten Regeln. Diese etwas detailliertere Betrachtung sollte noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass klassische Konzertrituale in nahezu allen Phasen viel strengeren Verhaltensregeln gehorchen als etwa Rock- und Popkonzerte, allen voran zu nennen wären die Einschränkungen im körperlichen Mitvollzug der Musikdarbietung. An einem grundsätzlich rituellen Charakter von Musik hat auch der Siegeszug der Massenmedien wenig geändert. Doch wurde, durch die Möglichkeit der technischen Reproduktion, die feste raum-zeitliche Bindung von Musikritualen gelöst, so dass sich mit ihrer erweiterten Verfügbarkeit auch der Ritual-Begriff erweitert (in Richtung Gewohnheit, Routine, s. o.), den es heranzuziehen gilt. Gerade durch die Speicherung auf Tonträgern ist eine exakte Wiederholung des festgeschriebenen Ablaufs von Musikstücken – viel umfassender noch als durch die Notation – quasi unbegrenzt möglich geworden. Dies erlaubt die Entwicklung individualisierter Rituale in Form der diversen Rezeptionsstrategien. Hier sei als Beispiel wieder an Dr. Dressler aus der Lindenstraße erinnert, der sich abends gerne im abgedunkelten Wohnzimmer Wagner- und Beethoven-Aufnahmen anzuhören pflegt. Auch Radiosender sind geprägt durch rituelle Züge: dort ist Musik eingebettet in eine festgeschriebene Programmdramaturgie, wird flankiert von zeitlich streng kodierten Programmelementen, oder ihr widerfährt z. B. in Form einer »Heavy Rotation« eigens eine Art Zeremoniell.

So ist im Grunde Musik selbst Ritual64

64
Vgl. auch Schnebel (1999) 17.
bzw. bildet in Tonträgerform die Voraussetzung für Rezeptionsweisen mit dem Charakter persönlicher oder auch kollektiver Rituale (z. B. Tanzen in der Diskothek). In Form einer Dauerbeschallung öffentlichen

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