Relevanz der Angaben. Es hat sich gezeigt, dass
häufig die Einschätzungen der Befragten in der spezifischen Befragungssituation
abweicht von ihrem tatsächlichen »musikalischen Verhalten« (etwa Konzertbesuche,
Tonträgerkauf).39
Vgl. Motte-Haber (1996) 174–176.
|
Die Beurteilung von Musik ist hochgradig abhängig vom Rezeptionskontext. So wäre es
ein Fehler zu schließen, dass selbst ein designierter Klassik-Hörer der Musikbeschallung
gegenüber automatisch positiv eingestellt ist. Möglicherweise ist sogar eher das Gegenteil
der Fall: ihm mag hier vielleicht ein hoch geschätztes Genre (in verstümmelter Form) zu
schäbigen Zwecken missbraucht erscheinen. Auch der umgekehrte Schluss ist ein
Trugschluss: Es spricht beispielsweise wenig dagegen, dass jemand, der weder
nach seinem Selbstverständnis noch gemäß seines tatsächlichen musikalischen
Verhaltens der Klassik besondere Sympathie entgegenbringen mag, in einer
U-Bahn-Unterführung an »Eine kleine Nachtmusik« gefallen finden kann, wenn es als
dezentes Hintergrundgeplänkel dargeboten wird. Noch abenteuerlicher müssen
zwangsläufig jene Spekulationen ausfallen, welche allein über die oben genannten
soziodemografischen Variablen Rückschlüsse wagen, über das Potential einer
Klassik-Beschallung als Vertreibungsinstrument. In Hamburg wurde die Musik vor allem
als Mittel gegen Junkies und Obdachlose verstanden. Manchmal wird einer
Klassik-Beschallung aber auch ein Vertreibungspotential gegenüber Jugendlichen
unterstellt.40
In Verbindung mit leicht missratenen Vergleichen können solche Spekulationen zuweilen sehr
zum Schmunzeln anregen. Dorothy Schulz und Susan Gilbert schreiben über die wundersame
Wirkung der Musik: »Apparently the sound of classical music is to teens what garlic is to
werewolves!«, Schultz, Dorothy/ Gilbert, Susan: Women and Transit Security. A new look at
an old issue, chapter 30, S. 557, online: www.fhwa.dot.gov/ohim/womens/chap30.pdf.
|
Wie sehr Rezeption und Einstellung zur klassischen Musik in bestimmten Kontexten von
den gängigen Klischeevorstellungen abweichen können, dokumentiert Susanne Keuchels
Untersuchung zur Rezeption klassischer Musik im Spielfilm. Als funktionale Musik erfuhr
der Filmmusik von den Musikwissenschaften in der Vergangenheit – als bloßes Beiwerk
der visuellen Ebene – häufig eher Geringschätzung. Keuchel geht den umgekehrten Weg,
begreift die Bilder als potentielle Bereicherung für die Musik. In Form von Filmmusik
wird klassische Musik von Jugendlichen nicht nur in der Regel positiver beurteilt,
sondern es zeigt sich auch ein nachhaltiger Einfluss auf die Einstellung der Musik
gegenüber:
»Musikpräferenzen (-eindrücke) jugendlicher Rezipienten können in einer
auditiven
Folgebegegnung einer vorangegangenen audiovisuellen Musikrezeption positiv
beeinflusst werden, wenn die Filmhandlung im Vorfeld positiv beurteilt
wurde.«41
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Untersuchungen, die in Folge
des Klassik-Booms in der Werbemusik Ende der 1980er Jahre (ausgelöst
durch Orffs »Carmina Burana« in der Nestlé-Werbung) entstanden
sind.42
Vgl. z. B. Tauchnitz (1990).
|
Auch andere der oben genannten Variablen, die als maßgeblich für die Entwicklung von
Präferenzen klassischer Musik gegenüber erachtet werden, verlieren bei einer
»klassischen« Filmmusik an Bedeutung:
|