reproduzierter Musik. Aber es gibt auch
Beispiele für frühe Arbeiten, die nicht auf Grundlage naturwissenschaftlicher
Experimente entstanden sind. So präsentiert z. B. Theodor Billroth mit »Wer
ist musikalisch?« (1895) eine Art phänomenologisch orientierte Theorie der
Musikrezeption. Einen evolutionären Ansatz mit Bezug auf Darwins »Der
Ausdruck der Gemüthsbewegungen beim Menschen« (1862 in dt. Übersetzung)
verfolgte Friedrich v. Hausegger mit seinem Buch »Die Musik als Ausdruck«
(1887).33
In den jüngeren Ansätzen, vor allem in jenen der angloamerikanischen Literatur, erkennt
Gembris eine Dominanz kognitivistischer Ansätze.
»Damit verbunden ist eine stark ausgeprägte
Einseitigkeit sowohl in inhaltlicher als auch in methodischer Hinsicht.
Musikrezeption wird dabei als ein Prozeß der Informationsverarbeitung
und -speicherung gesehen, der ausschließlich experimentell zu untersuchen
ist.«34
Die Präferenzen und Einstellungen gegenüber klassischer Musik sind hinlänglich
erforscht worden. Viele Ergebnisse (unter Verwendung diverser Methoden) entsprechen
durchaus den geläufigen, allgemein bekannten Klischeevorstellungen, die bereits in
Kapitel 6.2.1 (in Bezug auf das Kaufverhalten am Tonträgermarkt) angedeutet
worden sind. Die wohl bekannteste und umfassendste Untersuchung stammt vom
Soziologen Pierre Bourdieu. In seinem Hauptwerk »Die feinen Unterschiede«
analysiert er die Entstehung und Entwicklung klassenspezifischer kultureller
Verhaltensweisen.35
Seine Analyse basiert auf empirischen Daten, die in den 1960er Jahren in
Frankreich erhoben wurden, und macht deutlich (wie auch zahlreiche andere
Untersuchungen36
Überblick zu verschiedenen Untersuchungen bei Bontinck (1997) 90–93, Behne (1997)
340–343, Motte-Haber (1996) 161–165.
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):
Klassik tendenziell ist die Musik der gehobenen sozialen
Schichten.37
Bourdieu spricht vor dem Hintergrund der marxistischer Kulturtheorie von »Klassen«.
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Das Korrelieren von Präferenzen für klassische Musik mit den Variablen Alter,
Einkommen, Bildung und Sozialstatus erscheint also erwiesen. Demnach entspricht der
idealtypische Klassik-Hörer ziemlich genau dem Stereotypen der Serienfigur des
Dr. Dressler aus der ARD-Serie »Lindenstraße«. Möglicherweise haben sogar
Klischeevorstellung von Klassik und ihren Hörern stillschweigend eine Rolle
gespielt bei der Entscheidung für das Einrichten der Musikberieselung. Und
doch taugen die Erkenntnisse der Präferenzforschung für sich allein genommen
wenig, um Rückschlüsse auf die Akzeptanz der Beschallung am Hauptbahnhof
Hamburg zuzulassen bzw. die Wirkung als akustisches Vertreibungsinstrument zu
erklären. Das hat vielerlei Gründe. Zunächst einmal sind die Methoden der
Präferenzforschung nicht unproblematisch. Dies zeigt sich vor allem an zwei
Punkten:
- Erhebungsweise der Angaben. Ermittelt werden die Präferenzen entweder
durch Fragebögen mit gängigen kategorialen Genrebezeichnungen (Problem:
Verallgemeinerung) oder – wie beim sog. »Klingenden
Fragebogen« durch »typische« Musikbeispiele (Problem: Repräsentativität der
Beispiele).38
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