- 69 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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für wertvoll?« Zunächst führte sie die Befragung »hochoffiziell« durch: begleitet von einer als »Assistentin« fungierenden Freundin, die weiße Zettel und Kugelschreiber trug, einem befreundeten Kameramann samt Kamera (allerdings ohne Film), sie selbst trug einen Kassettenrekorder mit angeschlossenem »Riesenmikrofon«. Von den 297 Befragten antworteten 291 spontan mit »ja«, 44 davon räumten ein, der Musik trotz zweifelsohne hohem »Wert« eher fremd gegenüber zu stehen (die restlichen sechs Befragten gaben kein oder kein eindeutiges Urteil ab). Acht Monate später wiederholte sie die gleiche Befragung, diesmal jedoch alleine, in salopper Kleidung und ohne technische Hilfsmittel. Von 300 Personen entzogen sich 197 der Befragung (»ich kaufe nichts«, o. Ä.), von den Verbliebenen 103 antworteten lediglich 16 Personen mit »ja«, 39 waren unentschlossen und 48 antworteten mit einem klaren »nein«. Haselauer zieht drei Schlussfolgerungen aus diesem Ergebnis:

  1. Es existiert eine »offizielle« Werthaltung, die mit einer tatsächlichen »privaten« Ansicht nichts gemein hat.
  2. Je größer der »Öffentlichkeitscharakter« einer Befragung ist, desto stärker tendieren die Antworten zu »Prestigeantworten«; dies erklärt sich offenbar aus der Furcht vor einer Form von »Sanktionen« (etwa: als »unkultiviert« zu gelten).
  3. Musik als Bestandteil des gesellschaftlichen Wertesystems birgt lediglich Anweisungen zur normierten Bewertung (»erklärt bloß, wie die Leute Musik bewerten sollen«22
    22
    Haselauer (1986) 72.
    ), erklärt jedoch nicht den individuellen, »privaten« Wert von Musik in unterschiedlichen Lebenslagen.

Punkt 3 würde nicht nur die oben im Kapitel aufgezeigte Kluft erklären, sondern stellt auch jegliche Aussagekraft der Begrifflichkeiten »gesellschaftlicher Konsens« und »allgemeine Verbindlichkeit« stark in Frage. Mit der Tradition »den Leuten zu erklären, wie sie Musik bewerten sollen«, befasst sich auch Motte-Haber.23

23
Vgl. Motte-Haber (1996) 150f.
Sie unterscheidet zwischen
  1. »Geschmacksurteilen«, die einen »privaten Wert« von Musik bestimmen und
  2. »Sach-« oder »Kunsturteilen«, letztere in Anlehnung an Kants Konzept des »reflektierenden Urteils«.

Die Richtigkeit solch eines Urteils orientiert sich an geltenden gesellschaftlichen Normen. Das Fällen eines ästhetischen Urteils aufgrund von allgemeinen (ästhetischen) Normen ist nach Motte-Haber bedingt durch die bürgerliche Rationalität, die alle Lebensbereiche größtmöglicher Kalkulierbarkeit unterwirft und damit auch gleichzeitig die Voraussetzungen für die Entstehung der Musikkritik im 18. Jahrhundert schafft. Diese fällt zusammen mit der Öffnung der Konzertsäle für das zahlungskräftige Bürgertum. Denn mit Rationalität erklärt sich die Idee, ästhetische Urteile seien begründbar und somit auch vermittelbar. In einem Artikel der »Berlinischen Musikalischen Zeitung« vom 13.07.1793 findet sich eine Unterscheidung von Konzertbesuchern zwischen denen, die Geschmack »an Musik« finden


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