- 68 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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gefassten Klassik-Begriffe jeweils etwas völlig anderes. In der Musikwissenschaft referiert die Bezeichnung auf eine relativ kurze musikhistorische Periode, während sie im umgangssprachlichen Gebrauch, angesichts eines immensen Musikangebots, fast schon den Charakter einer Ausschlusskategorie (gegenüber moderneren Spielarten) angenommen hat. Für das Beispiel der Bahnhofsbeschallung ist es also nicht grundsätzlich falsch, von »Klassik« zu sprechen. Um der Wirkung der Beschallung auf die Spur zu kommen, sollte man sich jedoch zunächst nicht mit dem weit gefassten Begriff zufrieden geben. Sonst drohen sich verbreitete Klischeevorstellungen über die allgemeinen Anforderungen an das Hören von »Kunstmusik« zu vermischen mit einer undifferenzierten Vorstellung dessen, was tatsächlich am Bahnhof erklingt.

6.1.2.  Klassik als Konsens?

In diesem Kapitel sollen zunächst der vom Bahnhofsmanagement Hamburg-Hbf angenommene »gesellschaftliche Konsens« und die »allgemeine Verbindlichkeit« gegenüber klassischer Musik diskutiert werden. Diese Annahmen stehen zunächst einmal im krassen Gegensatz zur Dominanz der sog. »U-Musik« auf dem Tonträgermarkt. Der Anteil des »Klassischen Repertoires« am Tonträger-Umsatz betrug 1995 knapp 7 %, er ist im Vergleich zum Jahre 1990 (etwa 10 %) sogar noch etwas gesunken,17

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Vgl. Gebhardt (1997) 96–98.
während Pop- und Rock- und Dance-Musik 1995 zusammen etwa 61 % des Gesamtumsatzes ausmachten. Klassik ist mit Abstand der »älteste« Repertoirebereich: knapp 50 % der Käufer waren 1995 über 50 Jahre alt.18
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Vgl. Gebhardt (1997) 102.
Diese Zahlen sind natürlich mit einiger Vorsicht zu interpretieren, denn zwei Drittel des Gesamtumsatzes werden heute allein durch das Kaufverhalten der 16- bis 39-Jährigen bestimmt. Der Anteil der Schallplattenkäufe ist im Sektor der sog. »E-Musik« im 20. Jahrhundert stetig gesunken: 1907 waren es 63 % , 1929 noch 25 %, 1968 betrug der Anteil nur 13,1 %.19
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Vgl. Stein (1997) 105.
Auch ein Blick auf den »Klassik-Anteil« an der Musik im Radio weist in eine ähnliche Richtung. Selbst in den Landesrundfunkanstalten (ARD-Hörfunk-Anstalten) machte »Klassische Musik« im Jahre 2000 nur einen vergleichsweise kleinen Teil der gesamten Musik-Sendeminuten aus (26,3 %). Rock-, Pop- und andere Unterhaltungsmusik kamen dagegen zusammen auf einen Anteil von 73,7 % der Musiksendezeit.20
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Vgl. Eckhard (2002) 74, Tab. 6.3.
Zählte man die privaten Sender hinzu, so dürfte – trotz der Popularität von Klassik-Radio – der Klassik-Anteil noch weit geringer ausfallen. Ist die Annahme eines »gesellschaftlichen Konsens«, einer »allgemeinen Verbindlichkeit« in Bezug auf klassische Musik also eine grobe Fehleinschätzung? Oder sind die genannten Beispiele einfach ungeeignete Indikatoren? Vielleicht sollte man »gesellschaftlichen Konsens« in Bezug auf ein Musikgenre besser als allgemeine Wertschätzung desselben deuten, die sich nicht allein durch empirische Daten zum Medienkonsum erschließen mag. Doch wirft diese Interpretation ihrerseits große Probleme auf. Dies zeigt sich z. B. in dem Ergebnis einer Straßenbefragung zu Wert und Wertigkeit von Musik, die Elisabeth Haselauer in Wien durchführte.21
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Vgl. Haselauer (1986) 70f.
Dabei stellte sie Passanten nur eine einzige Frage: »Halten sie die Musik von Beethoven

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