ist die Auffassung von »Klassik« jedoch noch breiter und
schwammiger geworden. Julian Johnson schreibt:
»More recently, commercial classical radio stations have used the term in a
still broader way to include almost anything scored for orchestral or accoustic
instruments, as opposed to the electrically amplified or generated sounds of
popular
music.«12
In der Tat finden sich z. B. im Programm des Senders Klassik-Radio sogar
die orchestral arrangierten Jazz-Balladen von Robbie Williams oder George
Michael.13
Ob diese jedoch außerhalb des Programmablaufs von Klassik-Radio als »Klassik«
tituliert würden, ist fraglich, was aber sicher mit den Solisten und dem hohen
Wiedererkennungswert ihrer Stimmen zu tun hat. Maßgeblich in einem
umgangssprachlichen Klassik-Verständnis sind wohl zu einem großen Teil (u. a.) schlicht
orchestrale Klangfarben. Mag man solch eine Verallgemeinerung des Begriffs »Klassik«
vielleicht betrauern, so spendet möglicherweise die Erkenntnis Trost, dass er als
kategoriale Bezeichnung von Musik dieses Schicksal mit den Bezeichnungen anderer
Musikgenres teilt, zumindest außerhalb von Expertenkreisen. So gibt es beispielsweise in
der Regel keine Repertoirekategorien »Dixieland«, »Swing«, »Bebop«, »Cool Jazz«, etc.;
all diese werden meist unter der Sammelbezeichnung »Jazz« subsumiert. Außerdem ist
zu bemerken, dass selbst in der Musikwissenschaft der Begriff »Klassik« als Versuch,
eine (kürzere) musikhistorische Periode begreifbar zu machen, zwangsläufig eine grobe
Vereinfachung darstellen muss.
Dazu vermag die geläufige Strukturierung der Musikgeschichte in die
Epochen Barock, Klassik, Romantik eine falsche »Gleichwertigkeit« der
Epochenbezeichnungen zu suggerieren. Die Unterschiede erschließen sich
erst durch eine Rückverfolgung ihrer etymologischen Bedeutung. So wurde
beispielsweise das Wort »baroque« (von lat. »verruca«, dt. »Warze«) zunächst im
Französischen seit Beginn des 18. Jahrhunderts als ausgesprochen negative
Charakterisierung »von Gegenständen und Verhaltensweisen aller Art gebraucht,
speziell nun auch zur abschätzigen Beurteilung einzelner Erscheinungen in der
Kunst.«14 Im
Französischen wird das Wort aufgrund der negativen Konnotationen als Epochenbezeichnung
bis heute vermieden, in die deutsche Musikgeschichtsschreibung wurde der Begriff erst um 1920
aufgenommen.15
Der einzige Grund für die Existenz der geläufigen Kategorien ist der, dass bisher keine
besseren Bezeichnungen gefunden bzw. plausibel gemacht werden konnten. Eine
stilistische oder epochale Kategorisierung von Musik spiegelt auch immer die Bedürfnisse
innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens wider. An dieser Stelle sei (in kaum zu
verantwortender Kürze) der Symboltheoretiker Nelson Goodman zitiert: »Eine
vorgeschlagene Kategorisierung oder ein System lassen sich also nicht damit begründen,
sie seien wahr – denn sie haben keine Wahrheitswerte (. . . ). Für ein Kategoriensystem
braucht nicht gezeigt zu werden, dass es wahr ist, sondern was es leisten
kann.«16
Offensichtlich leisten die unterschiedlich weit
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