- 67 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (66)Nächste Seite (68) Letzte Seite (110)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

ist die Auffassung von »Klassik« jedoch noch breiter und schwammiger geworden. Julian Johnson schreibt:

»More recently, commercial classical radio stations have used the term in a still broader way to include almost anything scored for orchestral or accoustic instruments, as opposed to the electrically amplified or generated sounds of popular music.«12

12
Ebd.

In der Tat finden sich z. B. im Programm des Senders Klassik-Radio sogar die orchestral arrangierten Jazz-Balladen von Robbie Williams oder George Michael.13

13
Stücke dieser beiden Interpreten fanden sich am 16.05.2003 im Programm von Klassik-Radio. Die Playlist ist online: http://www.klassikradio.de/musiksuche/musiksuche_fs.htm.
Ob diese jedoch außerhalb des Programmablaufs von Klassik-Radio als »Klassik« tituliert würden, ist fraglich, was aber sicher mit den Solisten und dem hohen Wiedererkennungswert ihrer Stimmen zu tun hat. Maßgeblich in einem umgangssprachlichen Klassik-Verständnis sind wohl zu einem großen Teil (u. a.) schlicht orchestrale Klangfarben. Mag man solch eine Verallgemeinerung des Begriffs »Klassik« vielleicht betrauern, so spendet möglicherweise die Erkenntnis Trost, dass er als kategoriale Bezeichnung von Musik dieses Schicksal mit den Bezeichnungen anderer Musikgenres teilt, zumindest außerhalb von Expertenkreisen. So gibt es beispielsweise in der Regel keine Repertoirekategorien »Dixieland«, »Swing«, »Bebop«, »Cool Jazz«, etc.; all diese werden meist unter der Sammelbezeichnung »Jazz« subsumiert. Außerdem ist zu bemerken, dass selbst in der Musikwissenschaft der Begriff »Klassik« als Versuch, eine (kürzere) musikhistorische Periode begreifbar zu machen, zwangsläufig eine grobe Vereinfachung darstellen muss.

Dazu vermag die geläufige Strukturierung der Musikgeschichte in die Epochen Barock, Klassik, Romantik eine falsche »Gleichwertigkeit« der Epochenbezeichnungen zu suggerieren. Die Unterschiede erschließen sich erst durch eine Rückverfolgung ihrer etymologischen Bedeutung. So wurde beispielsweise das Wort »baroque« (von lat. »verruca«, dt. »Warze«) zunächst im Französischen seit Beginn des 18. Jahrhunderts als ausgesprochen negative Charakterisierung »von Gegenständen und Verhaltensweisen aller Art gebraucht, speziell nun auch zur abschätzigen Beurteilung einzelner Erscheinungen in der Kunst.«14

14
Eggebrecht (2002) 316.
Im Französischen wird das Wort aufgrund der negativen Konnotationen als Epochenbezeichnung bis heute vermieden, in die deutsche Musikgeschichtsschreibung wurde der Begriff erst um 1920 aufgenommen.15
15
Vgl. Ebd.
Der einzige Grund für die Existenz der geläufigen Kategorien ist der, dass bisher keine besseren Bezeichnungen gefunden bzw. plausibel gemacht werden konnten. Eine stilistische oder epochale Kategorisierung von Musik spiegelt auch immer die Bedürfnisse innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens wider. An dieser Stelle sei (in kaum zu verantwortender Kürze) der Symboltheoretiker Nelson Goodman zitiert: »Eine vorgeschlagene Kategorisierung oder ein System lassen sich also nicht damit begründen, sie seien wahr – denn sie haben keine Wahrheitswerte (. . . ). Für ein Kategoriensystem braucht nicht gezeigt zu werden, dass es wahr ist, sondern was es leisten kann.«16
16
Goodman (1990) 157.
Offensichtlich leisten die unterschiedlich weit

Erste Seite (i) Vorherige Seite (66)Nächste Seite (68) Letzte Seite (110)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 67 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum