Dieser »inflationäre Gebrauch« scheint also selbst seine eigene Geschichte zu haben.
Der zitierte Ausschnitt spiegelt aber auch Aspekte der Klassik-Diskussion wider, die in
Deutschland seit Ende des 18. Jahrhunderts lange und intensiv geführt wurde. Seinen
Ursprung hat der Begriff in der Terminologie des römischen Steuersystems: so ist ein
classicus ein Steuerzahler der höchsten Steuerklasse (classis prima). Der Grammatiker
Aulus Gellius prägte den Begriff eines scriptor classicus, eines »erstklassigen
Schriftstellers«5 .
Im 17. Jahrhundert wurde mit der Idee eines classicisme in der französischen Literatur
erstmals aus einem bloßen apostrophierenden Begriff, der die Allgemeinvorstellung von
besonderer, überdauernder Güte ausdrückte, ein Konzept, ein Epochenbegriff:
»Die Verbindung von national-politischer grandeur und classicisme als nicht
mehr zu steigernder, geschweige denn zu übertreffender Blüte des nationalen
kulturellen Potentials, die sich an den ›klassischen‹ Mustern der Antike nährt
und sie sogleich übertrifft, sollte für spätere Klassik-Gründungen ebenso wie
die Frage, unter welchen Bedingungen Klassik überhaupt möglich sein könnte,
erhebliche Folgen
haben.«6
Im deutschsprachigen Raum, wo der Begriff zunächst als Bezeichnung einer
literarischen Epoche (der Weimarer Klassik) diskutiert wurde, spielten auch
national-konstituive Überlegungen eine Rolle, es lag nahe, »Klassiker (für den
literarischen Olymp) zu erfinden, zu denen die politisch gespaltene Nation als zu
einem Symbol ihrer wenigstens kulturell verwirklichten Einheit aufschauen
konnte.«7
Ab spätestens 1850 galten die Diskussionen als beendet, Schiller und Goethe galten als
die »deutschen Klassiker«, der Epochenbegriff der Weimarer Klassik hatte sich etabliert.
Beinahe parallel dazu verlief die Entwicklung des musikalischen Epochenbegriffs, der
»Klassik«. Erste Impulse dazu gab es bereits unmittelbar nach dem Tode Mozarts in
Form einer schnell einsetzenden »Mozart-Verklärung« (Finscher). »Die heute
weitgehend verbindliche Konzentration des Klassik-Begriffs auf die Wiener
Klassik, d. h. auf Haydn, Mozart und Beethoven beginnt sich schon um 1810
abzuzeichnen und ist im dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts im Wesentlichen
abgeschlossen.«8
Der Begriff als Bezeichnung dieser Musikepoche taucht erstmals 1836 auf. In der
Musikwissenschaft ist Klassik, als Kurzform von »Wiener Klassik« also ein
eng gefasster Begriff, kreist um die drei oben genannten Komponisten und ihr
Wirken9
Beethoven (bzw. ein Teil seines Schaffens) wird jedoch z. T. bereits der Romantik
zugeschrieben.
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oder findet sich auch chronologisch strukturiert in Perioden der Vorklassik, Klassik und
Nachklassik.10
Vgl. Finscher (1996) 231.
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Der heute wohl geläufigste Klassik-Begriff ist geprägt durch eine große Verallgemeinerung.
Es ist jener, der sich in der Umgangssprache, aber auch z. B. als Bezeichnung der
unterschiedlichen Abteilungen im Tonträgerhandel sowie in den Katalogen der
Tonträgerindustrie wieder findet. Dieser umfasst wohl grob gesagt, ein Repertoire von
etwa 1600 bis zu klassizistischen und romantizistischen Kompositionen der
Gegenwart.11
In den letzten Jahren
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