- 66 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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Dieser »inflationäre Gebrauch« scheint also selbst seine eigene Geschichte zu haben. Der zitierte Ausschnitt spiegelt aber auch Aspekte der Klassik-Diskussion wider, die in Deutschland seit Ende des 18. Jahrhunderts lange und intensiv geführt wurde. Seinen Ursprung hat der Begriff in der Terminologie des römischen Steuersystems: so ist ein classicus ein Steuerzahler der höchsten Steuerklasse (classis prima). Der Grammatiker Aulus Gellius prägte den Begriff eines scriptor classicus, eines »erstklassigen Schriftstellers«5
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Ebd.
. Im 17. Jahrhundert wurde mit der Idee eines classicisme in der französischen Literatur erstmals aus einem bloßen apostrophierenden Begriff, der die Allgemeinvorstellung von besonderer, überdauernder Güte ausdrückte, ein Konzept, ein Epochenbegriff:

»Die Verbindung von national-politischer grandeur und classicisme als nicht mehr zu steigernder, geschweige denn zu übertreffender Blüte des nationalen kulturellen Potentials, die sich an den ›klassischen‹ Mustern der Antike nährt und sie sogleich übertrifft, sollte für spätere Klassik-Gründungen ebenso wie die Frage, unter welchen Bedingungen Klassik überhaupt möglich sein könnte, erhebliche Folgen haben.«6

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Finscher (1996) 225.

Im deutschsprachigen Raum, wo der Begriff zunächst als Bezeichnung einer literarischen Epoche (der Weimarer Klassik) diskutiert wurde, spielten auch national-konstituive Überlegungen eine Rolle, es lag nahe, »Klassiker (für den literarischen Olymp) zu erfinden, zu denen die politisch gespaltene Nation als zu einem Symbol ihrer wenigstens kulturell verwirklichten Einheit aufschauen konnte.«7

7
Ebd.
Ab spätestens 1850 galten die Diskussionen als beendet, Schiller und Goethe galten als die »deutschen Klassiker«, der Epochenbegriff der Weimarer Klassik hatte sich etabliert. Beinahe parallel dazu verlief die Entwicklung des musikalischen Epochenbegriffs, der »Klassik«. Erste Impulse dazu gab es bereits unmittelbar nach dem Tode Mozarts in Form einer schnell einsetzenden »Mozart-Verklärung« (Finscher). »Die heute weitgehend verbindliche Konzentration des Klassik-Begriffs auf die Wiener Klassik, d. h. auf Haydn, Mozart und Beethoven beginnt sich schon um 1810 abzuzeichnen und ist im dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen.«8
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Finscher (1996) 228.
Der Begriff als Bezeichnung dieser Musikepoche taucht erstmals 1836 auf. In der Musikwissenschaft ist Klassik, als Kurzform von »Wiener Klassik« also ein eng gefasster Begriff, kreist um die drei oben genannten Komponisten und ihr Wirken9
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Beethoven (bzw. ein Teil seines Schaffens) wird jedoch z. T. bereits der Romantik zugeschrieben.
oder findet sich auch chronologisch strukturiert in Perioden der Vorklassik, Klassik und Nachklassik.10
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Vgl. Finscher (1996) 231.
Der heute wohl geläufigste Klassik-Begriff ist geprägt durch eine große Verallgemeinerung. Es ist jener, der sich in der Umgangssprache, aber auch z. B. als Bezeichnung der unterschiedlichen Abteilungen im Tonträgerhandel sowie in den Katalogen der Tonträgerindustrie wieder findet. Dieser umfasst wohl grob gesagt, ein Repertoire von etwa 1600 bis zu klassizistischen und romantizistischen Kompositionen der Gegenwart.11
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Vgl. Johnson (2002) 6.
In den letzten Jahren

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