- 48 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (47)Nächste Seite (49) Letzte Seite (110)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

langsam das bloße Erkennen von vermeintlich »Erfreulichem«, und sei es noch so verklärend, verschlossen bleibt? Positiver verstanden möchte man Habitualisierung interpretieren als eine gesteigerte »Selektivität der Wahrnehmung«, als Antwort auf einen reizüberfluteten Alltag. Dies würde jedoch zwangsläufig alle ideologisch-konformistischen Qualitäten einer Musikberieselung in den Bereich des Unterbewussten verlagern, wo es sich weitgehend jeder weiteren Untersuchung entziehen muss. Möglicherweise werden in allzu kulturpessimistischen Haltungen die Dimensionen der Musikwirkung etwas überschätzt bzw. die Anpassungsfähigkeit der Menschen unterschätzt.

Das allzu naive Beziehen von Adornos Kritik auf die Musikbeschallung am Hauptbahnhof Hamburg birgt jedoch noch einen weiteren Widerspruch. Es ist bekannt, dass der Hachmannplatz als »sozialer Brennpunkt« bereits auf eine längere Geschichte zurückblicken kann, was sicher nie im Sinne der Deutschen Bahn/Bundes-bahn gewesen ist. Statt jedoch diese Umstände durch eine »Verschönerung mit klassischer Musik« zu verklären, ist das Thema »Vertreibung unerwünschter Randgruppen« mit der Beschallung gerade in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Die in Hamburg weit verbreitete Annahme, dass die Musik hier eine Vertreibungsfunktion erfüllt (unabhängig von den tatsächlichen Intentionen der Deutschen Bahn) macht sie erst zum (ununterbrochen) klingenden Zeichen derselben. Eine Diskussion der semiotischen Eigenschaften der Beschallung bedarf einer differenzierteren Herangehensweise.94

94
Vgl. Kapitel 6.2.3.
Sicher aber ist, dass die Musik nur dort von sozialen Wirklichkeiten abzulenken vermag, wo sie nicht als ein solches Zeichen erkannt wird.

4.4.2.  Klangökologie/Akustikdesign

Der Begriff einer Ökologie der Klänge ist seit den 1960er Jahren entscheidend geprägt worden von R. Murray Schafer. Im Rahmen seiner »Kulturgeschichte des Hörens« hat er sich zur Aufgabe gemacht, die uns umgebene Klanglandschaft (»Soundscape«) und ihren Wandel im Laufe der Geschichte zu ergründen. Eine Klanglandschaft als auditive Sphäre umfasst die Gesamtheit der akustischen Erscheinungen. Schafers Ansatz benennt sowohl Methoden zur Registrierung und Bewusstmachung zeitgenössischer Soundscapes mit ihren Tönen und Geräuschen, etwa durch sog. »Soundwalks« oder durch »Sonographie« (einer Art »Lautkartografie«), versucht aber auch jene vergangener Jahrhunderte zu rekonstruieren – unter Zuhilfenahme beispielsweise von literarischen oder poetischen Schilderungen jener Zeit. Die Moderne mit ihren technischen Errungenschaften hat (vor allem in den Städten) aus einer »Lownoise«-Landschaft eine »Highnoise«-Landschaft werden lassen, wobei sich über den Lärm der Maschinen zusätzlich akustische »Schallwände« von Lautsprechermusik ausbreiten:

»Der Mißbrauch von Moozak hat einen anderen Typ von Schallwand hervorgebracht, der sehr schnell zu einer Standardeinrichtung in modernen Gebäuden wurde, den Schutzwall gegen Grundgeräusche oder, wie seine Befürworter ihn nennen, ›das akustische Parfum‹.«95

95
Schafer (1988) 133; Anmerkung: Schafer benutzt den Begriff »Moozak« nicht spezifisch bezogen auf den phonetisch ähnlich betitelten Konzern, sondern als »Ausdruck, der sich auf alle Arten schizophoner Musikberieselung bezieht, besonders an öffentlichen Orten«, Schafer (1988) 313.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (47)Nächste Seite (49) Letzte Seite (110)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 48 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum