»Mozart-Effekt« ist der Anlass für einen kleinen Exkurs zum Thema »Mythos
Musikwirkung« (Kapitel 5).
Diese Arbeit kann weder die These belegen, dass die Junkies vom Hamburger
Hauptbahnhof durch die Klassik-Beschallung vertrieben wurden, noch ist sie in der Lage,
eine Gegenthese sicher zu untermauern, nämlich dass die Beschallung völlig wirkungslos
geblieben sei. Dies ist auch nicht das Hauptziel dieser Arbeit. So ist Kapitel 6 als
diskursiver Teil zu verstehen: Diskutiert werden hier nicht nur Gründe, die
für oder wider einen Vertreibungseffekt sprechen, vielmehr gilt das Interesse
vor allem den verschiedenen Ebenen, auf denen eine Klassik-Beschallung ihre
Wirkung zu entfalten vermag. Die Schrittrichtung des Kapitels 6.2 orientiert
sich an den bereits in Kapitel 4.1 (Definitionsproblematik) vorgestellten drei
Funktionsebenen von Musik, die der 1999 verstorbene Musikwissenschaftler Hans
Heinrich Eggebrecht benannt hat. Zunächst gilt es einen Blick auf Selektion und
Anordnung des Repertoires bei der Produktion des Classical-Kanals durch die Firma
Muzak zu werfen (6.2.1). Danach werden mögliche Wirkungen, resultierend aus
der Rezeption der erklingenden Hintergrundmusik erörtert (6.2.2). Hier wird
deutlich, dass eine Art »erwünschte Überforderung unerwünschter Hörer« als
Erklärungsansatz für eine erfolgreiche Vertreibung der Junkies allein aufgrund der
Komplexität europäischer Kunstmusik kaum haltbar sein dürfte. Auf der letzten
Funktionsebene (6.2.3) verliert die Musik schließlich ihren Zeitbezug, stattdessen
schafft die Permanenz der Beschallung feste »Klassik-Zonen« im öffentlichen
Raum.
Am Ende der Arbeit steht auch die Frage, in welchem Grade eine »verschönernde« Musikbeschallung als ein Mittel sozialer Kontrolle an einer Veränderung der Gestalt urbaner öffentlicher Räume beteiligt sein kann. Die Diskussion über eine »Raumkontrolle« als soziale Kontrolle wird derzeit (aus unterschiedlichen Blickwinkeln) vor allem in anderen Fachrichtungen geführt, zu nennen wären hier Siedlungssoziologie, Stadtplanung und Architektur. Diese Arbeit ist zu verstehen als ein Beitrag hierzu aus der Perspektive der Angewandten Kulturwissenschaften. Der Untersuchungsgegenstand berührt zwangsläufig eine Vielzahl unterschiedlicher Disziplinen: neben Musikpsychologie und Musiksoziologie auch Medien- und Kommunikationsforschung, Sozialwissenschaften, Sozialgeschichte, Rechtswissenschaften sowie Architektur und Stadtplanung. So ist diese Untersuchung (zugunsten einer möglichst umfassenden Beleuchtung des Beschallungsphänomens aus vielen verschiedenen Perspektiven) interdisziplinär angelegt, wobei auf eine explizite Trennung der Forschungsgebiete in der Gliederung verzichtet wurde. Schwerpunkt ist die Musik und ihre Vermittlung. Die Quellenauswahl gehorcht jedoch auch hier vorrangig pragmatischen Kriterien. Dies betrifft insbesondere die herangezogenen Forschungsergebnisse aus dem Fach Musikpsychologie, die der langen Forschungstradition dieser Disziplin sicher nicht gerecht werden können. Bei der Auswahl der vorliegenden Forschungsergebnisse haben in dieser Untersuchung neuere Entwicklungen Priorität vor bekannten und bereits oft zitierten Befunden. Nicht das Verfassen eines abgespeckten »Handbuchs« ist das Anliegen dieser kulturwissenschaftlichen Arbeit, stattdessen liegt der Schwerpunkt auf dem Attribut »angewandt«.
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