- 92 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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Erst dann schafft der Computer eine eigensinnige Datenwelt, in der das komplette Archiv des Menschen verarbeitet worden ist. Noch muß die integrierte Schaltung auf einem Fernsehschirm melden, was sie gemacht hat, und es gibt die Möglichkeit, das Resultat seiner Tätigkeiten auf Papier ausdrucken zu lassen.«113
113 Agentur Bilwet (1993, S. 74).

Künstlich wird der Eindruck des Realen simuliert. Im alltäglichen Gebrauch begegnet uns der Computer als jeweils erweiterte Schreibmaschine, Zeitung, Post, TV, Radio, Video etc. Formen analoger Medien repositionieren sich in den digitalen Medien, auch im Bereich der Musiksoftware: Die Benutzeroberfläche der in Deutschland weit verbreiteten Software Cubase begegnet dem Musikfreund mit vertrauten Umgebungen wie dem Notenblatt, der Klaviertastatur oder der Tonbandmaschine114

114 Vgl. Bickel (1992, S. 57).
, erweitert durch neue Möglichkeiten des Zugriffs auf die musikalischen Parameter. »Patchwork-Produktion« nennt Peter Bickel eine Musikpraxis, die auf das Interface-Design von Cubase verweist. Nicht Tonbandschnipsel, sondern einzelne Blöcke, die Audio-Samples oder Steuerungsdaten (MIDI) symbolisieren, lassen sich auf einem simulierten Mehrspurtonband anordnen und bearbeiten. Eine Toolbox offeriert Werkzeuge wie z.B. die Klebstofftube oder die Schere mit denen Klebe- bzw. Schnittoperationen ausgeführt werden können. Michael Münzing von der deutschen Dance-Formation Snap beschreibt die neuen Montage-Verhältnisse, die bei der Produktion des Megasellers The power zum Zuge kamen:

»Ursprünglich war die Gitarre nur als Break geplant, nach vier Minuten. Dann haben wir sie mal versuchsweise nach vorne geschoben. Das ist das Geniale an Cubase: Man kann Teile ohne Mühe verschieben, auch, um nur zu probieren. Bei einem Band hätten wir uns totgeschnitten, diese Gitarre nach vorne zu holen. Aber so ist das Arrangieren ein Traum. Die Musik ist nichts Festes mehr. Man verschiebt sie nach Lust und Laune.«115

115 Ehrenreich (1990, S. 32), zitiert nach Bickel (1992, S. 58).

Norbert Schläbitz kommentiert diese spezifische Musikpraxis am Computer: »Der Computer ist nunmehr ein tonbandähnliches Werkzeug, und so wird, eine intelligente Programmierung vorausgesetzt, diese Tonbandhaftigkeit schlicht hingenommen und das aufgezeichnete Datenmaterial in seinem Wesen als aufgezeichnetes Klangmaterial angenommen.«116

116 Vgl. Schläbitz (1997, S. 193).
Formen der Zeitachsenmanipulation mit dem Tonband, wie sie in diesem Kapitel beschrieben wurden, nimmt z.B. das Programm Vari-Fi, ein Zusatzprogramm (im Fachjargon: Plug-In) im Di-Fi Programmpaket aus dem Hause Digidesign für Pro Tools-III-Systeme, wieder auf. Vari-Fi simuliert dem Computermusiker die Klangeffekte, die beim Abstoppen oder Hochlaufen einer analogen Bandmaschine entstehen.117
117 Kleinermanns (1997).
Das Analogizer-Plug-In Magneto von Steinberg soll den ›warmen‹ Sound einer Tonbandaufnahme in das ›kalte‹ digitale Medium zurückbringen.

Das »Watkins Copicat«-Tape-Delay findet sich in Funktion und Gestaltung wieder in dem PlugIn »Karlette« von Steinberg. Die in diesem Kapitel angeführte Aufzeichnungstechnologie als Medium (Luhmann) repositioniert der Grungelizer.118

118 Vgl. Abschnitt 4.1.3.1 Aufzeichnungstechnologie als Medium.

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