des 19. Jahrhunderts erklärt
auch tatsächlich die Phonoindustrie heute die Musikaufführung, und damit die jeweilige
Interpretation des Werkes, zum musikalischen Original, indem sie ihren Tonträgern das
Etikett ›Originalaufnahme‹ aufdrückt. Sie setzt damit auf den unersättlichen Wunsch nach
restloser Präsenz und Identität in den Repräsentationsbemühungen der abendländischen
Kultur20
20 Vgl. Fischer, Matthias, 1986, a.a.O., S. 15.
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den auch die Elektronikindustrie mit dem Versprechen der »Naturtreue des
Klangs«21
21 Vgl. Rzehulka (1986, S. 85).
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ihrer HiFi-Geräte nährt. Mit Hilfe von technischen Reproduktionsmedien wird
versucht, Original und technische Reproduktion als identisch erscheinen zu
lassen:
»Man nennt das high fidelity. [...] Diese Art von Stereophonie, die nicht mit
der musikalischen Stereophonie, will sagen der gelegentlich geübten Komposition
mit Schallrichtungen, zu verwechseln ist, beruht darauf, daß von der Aufnahme
bis zur Wiedergabe, also von den Mikrophonen bis zu den Lautsprechern,
alles schon wie zwei Ohren angelegt ist, deren Distanz voneinander der Platte
das Platte nehmen, nämlich räumliche Plastizität dazuaddieren, virtuell den
Konzertsaal hineinmogeln soll, auf das ein Blinder alsbald zweifle, ob da ein
Grammophon oder ein leibhaftes Streichquartett spielt.«22
22 Metzger (1980, S. 220).
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Mit hohem technischen Aufwand werden die Medien heute zum Verschwinden gebracht,
damit das Ohr unverstellt an der Illusion der Verschmelzung von Original und
technischer Reproduktion teilhaben kann. Mit »96 kHz 24 bit Super Digital
Transfer«23
wird für die Wiederveröffentlichung von »Originalaufnahmen« geworben, die in den
klimatisierten Archiven von Decca, Philips und Deutsche Grammophon auf ihre
medientechnische Veredelung warten. Mediale Störungen wie Knistern, Rauschen und
andere »Nebengeräusche« werden zuvor beseitigt und mit »komplizierten Verfahren« das
vorliegende Klangmaterial an die aktuellen Hörgewohnheiten angepaßt: Hohe Frequenzen
werden heruntergefahren und mittlere Tonlagen, »wo wir am besten hören, vergrößert.«
Daraus folgt: »Wenn dann noch etwas knackt und pfeift, dann nur, weil es in der
Partitur steht.« Dem Komponisten und damit auch dem bürgerlichen Geniekult derart
nahe, ist man von der tatsächlichen Aufführung, die eben noch identisch (besser als
identische, mediale Illusion) im heimischen Wohnzimmer erklingen sollte, aber weit
entfernt.
Daß technische Medien weder den sozialen Kontext eines Konzertes, noch den
spezifischen, an den Aufführungsort gebundenen Ereignischarakter und damit die von
Benjamin heraufbeschworene Aura reproduzieren können, ist in der musikwissenschaftlichen
Literatur unstrittig: »die Stunden des häuslichen Daseins, die mit der Platte kreisen,
sind zu karg, als daß der erste Satz der Eroica, ungeteilt, darin sich entfalten dürfte
[...].«24 Von
einer Aufführung wird, mit Norbert Schläbitz und Matthias Fischer, alleine das Frequenzgefüge
kopiert.25
25 Hier kann man fragen, welchem Frequenzgefüge eines Konzertes denn das Siegel
›Original‹ überhaupt zu verleihen wäre, wenn man bedenkt, wie sich Schall im Raum
verhält, und wie variantenreich eine Mikrofonierung sein kann (Anzahl, Positionierung
im Raum, Frequenzgang, Raumdefinition, Dynamik). Ganz zu schweigen von der
Vielzahl an Optionen und ungewollten Metamorphosen im Gesamtvorgang
der Reproduktion. Dazu gehören: Eine große Auswahl an unterschiedlichen
Aufzeichnungsgeräten und Zusatzgeräten wie Mischpulte, Kompressoren, Equalizer etc.
und deren Parametereinstellungen; »die Abmischung (Zusammenmischen verschiedener
Aufnahmekanäle, Aneinanderfügen verschiedener Aufnahmesegmente, der sogenannten
Takes); die Überspielung auf den massenproduzierten Tonträgern; die Wiedergabe des
Klanggeschehens auf dem massenproduzierten Tonträger (Abspielgerät, Verstärker,
Lautsprecher, Lautstärke).« Schüller (1988).
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Das Medienverständnis der Kulturindustrie ist aber diametral zu diesen Positionen
dadurch bestimmt,
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