- 8 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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Wolfgang Ernst illustriert die von Benjamin beschriebene, mediale Verhüllung der Naturwahrnehmung durch technische Reproduktionsmedien anhand folgender Alltagserfahrung:

»Längst kann der Griechenlandbesucher den sagenhaften Himmel nicht mehr unvermittelt wahrnehmen; vielmehr scheint dieser nur noch überzeugend zu dokumentieren, was seine Myriaden von (Postkarten-)Bildern bereits vorformuliert haben, [...].«13

13 Ernst (1988, S. 499).

Benjamins Thesen, die primär die Reproduktionstechniken des Films und der Fotografie betreffen, werden heute vor dem Hintergrund der technischen Aufzeichnungs- und Manipulationstechniken im auditiven Bereich auch in den Musikwissenschaften diskutiert und weitergeführt. Im folgenden soll diese Diskussion kritisch beleuchtet werden. Die Verankerung von Originalität und Aura eines Kunstwerks an sein ›Hier und Jetzt‹ bei Walter Benjamin ist auf Musik streng genommen nicht übertragbar.14

14 Vgl. dazu auch das Kapitel »Historische Etiketten eines Originals« in: Bickel (1992).
Eine gleichzeitige Präsenz in Raum und Zeit, wie sie etwa in ihrer Totalität ein Bild oder eine Skulptur in der bildenden Kunst ausfüllt, läßt sich für die Zeitkunst ›Musik‹ nicht anschreiben. »Zeitstellen sind in der [...] Musik durch ihr eigenes Vergehen bestimmt [...] – ein jeweils im Moment festgehaltenes Woher und Wohin.«15
15 KdG (S. 183).
Auf ihrer Zeitachse (im Raum) läßt sich das kontinuierliche Klangereignis Musik nur in seinem Jetzt, und Jetzt, und Jetzt – und damit diskontinuierlich abzählen; genauso wie es in der Logik der Notenschrift angelegt war und wie es später die Analog/Digital-Wandler der digitalen Speichermedien in Perfektion ausführen. Aber es gilt noch immer: »Musik im Sinne restloser Präsenz ist unverfügbar.«16
16 Fischer (1986, S. 32).
Daraus folgen mit Peter Bickel Probleme bei der Bestimmung des musikalischen Originals.

»Zeitlich gesehen gibt es kein vollständiges und gleichzeitiges ›Hier‹ der Musik, die zum Zeitpunkt ihrer Vervollständigung – beim letzten Ton einer Aufführung – eben schon wieder Vergangenheit ist. Dementsprechende Schwierigkeiten sind beim Versuch einer Fixierung des musikalischen Originals feststellbar.«17

17 Bickel (1992, S. 106).

Ernst Krenek führt die Auffassung eines an den Ort seiner medialen Speicherung gekoppelten musikalischen Originals ein. Schon eine Aufführung, so Krenek, ist bereits eine Reproduktion des in der niedergeschriebenen Partitur fixierten Originals.18

18 Vgl. Krenek (1973, S. 59).
Krenek bewegt sich mit dieser Bestimmung auf der Linie der lexikalischen Bedeutung des Begriffs ›Original‹ als Urschrift, erste Niederschrift, Urtext oder auch vom Künstler geschaffenes Bild oder Standbild. (Artifizielle) Musikkonzerte sind nach dieser Auffassung also immer schon Reproduktionen. Es ist mit Theodor W. Adorno absehbar, daß dann die – wohlgemerkt nicht technischen – »Reproduktionen zu den Werken werden«.19
19 Adorno (1978, S. 233).
Auf der Folie der Musikkultur des bürgerlichen Konzertsaals

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