»daß sie dem auratischen Prinzip nicht ein anderes strikt
entgegensetzt, sondern die verwesende Aura konserviert, als vernebelten
Dunstkreis.«26
26 Adorno (1972, S. 350).
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2.1.2. Von der Reproduktion zur (Re-)Produktion von Musik
Die ›Aura-Konservierung‹ von historischen Live-Mitschnitten durch die
Kulturindustrie
gilt technisch aber nur für die ›ehrliche‹ Reproduktion, wie sie bis ca. Mitte der
sechziger Jahre noch Praxis war. Dazu zählt etwa die Aufnahme der 1937 in Salzburg
von Toscanini dirigierten Meistersinger, bei der die Reproduktionsmedien als reine
Abbildmedien fungieren. Peter Rzehulka schreibt über die Qualitäten dieses
Tonträgers:
»Er vermittelt [...] Atmosphärisches, Nebengeräusche, Pannen und Patzer,
Augenblicke beseelten, spannungsgeladenen (oder auch spannungsarmen) Ad-Hoc-Musizierens.
Die technische Unvollkommenheit früherer Aufzeichnungsmöglichkeiten macht
es uns eigenartigerweise oft leichter, uns emotional in die historische konkrete
Situation zurückzuversetzen. Natürlich ist das knisternde Trichter-Klangbild
des frühen ›Live-Mitschnitts‹ kein Gütezeichen für sich, auch spieltechnisches
Versagen oder Atmosphärisch-Überraschendes kann uns nicht per se begeistern,
wenn es durch den Lautsprecher vermittelt wird. Dennoch stellt sich oft eine
mit Worten schwer greifbare Aura ein, die gerade in ihrer reproduzierten
Unzulänglichkeit von Nicht-Perfektion (gemessen an heutigen Maßstäben),
als unbestechlicher Zeuge für eine historisch einmalige Konzertsituation deren
Lebendigkeit und Konzentration nachvollziehen läßt.«27
27 Rzehulka (1986, S. 108).
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Vor 1900 war sogar jeder produzierte Tonträger noch ein ›Original‹.
Vervielfältigung war
Handarbeit. Das historische Firmensignet der »Grammophon Company« schmückt nicht
zufällig ein verträumter Engel, der höchstselbst mit einem Federkiel einer Schallplatte
Rillen einschreibt.
»Die eigentliche Vermassung von Musik entwickelte sich mit den technischen
Verfeinerungen [der Schellackplatte und des Grammophons], die es um 1900
erlaubten, die Stimmen nicht nur einmalig aufzuzeichnen. Bis dahin mußte
jede Aufnahme für die Walze ständig repetiert und auch die Schallplatte
konnte nur in begrenzter Auflagenhöhe gepreßt werden. Das Singen im Studio
war eine Tortur der gnadenlosen Wiederholung, die direkt an die zu erstellende
Stückzahl der Schallplatten gekoppelt war. Außerdem mußte jede Schallplatte
als Ganzes aufgenommen werden, da es bis zur Erfindung des Tonbandes
keine Schnittmöglichkeiten gab. Ein falscher Ton und die Aufnahme war
hinüber.«28
28 Glasermeier (1988, S. 18).
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