Leere Plätze schafft der Cutter am Tonband im analogen Datenstrom
mit der
Rasierklinge. Formen im Medium der Zeitachsenmanipulation lassen sich seither
schriftlich ›notieren‹. Mit Klebestreifen, Zollstock, Stopuhr und Millimeterpapier machte
die elektroakustische Avantgarde die Nachfolgerelationen der Zeit zum Lacanschen
Brettspiel, denn gezielte Eingriffe in die Nachfolgerelationen von Einzelereignissen
auf der Zeitachse erlauben alle diskreten Methoden der Notation, und damit
jede Schrift mit Leerzeichen. Dies gilt z.B. für den digitalen Schriftcode aber
auch für Guido von Arrezos Notenschrift. Auf den fünf Linien der Notenschrift
lassen sich daher auch Tonintervalle mit allen Tricks der Zeitachsenmanipulation
behandeln, »etwa wenn bei Bach die Fuge im sogenannten Krebs aus den
Buchstaben seines Eigennamens B-A-C-H die umgekehrte Intervallfolge H-C-A-B
machte.«95
»[...] Wie diese vier Notenwerte dann auf faktischen Instrumenten mit ihren sehr verschiedenen
Obertoncharakteristiken klingen sollten, schrieb Bach erst gar nicht mehr auf oder
vor.«96
Durch das Raster der Notenlinien fiel noch das »Rauschen des
Reellen«97,
und damit der kontingente Klangverlauf, den Instrument und Instrumentalist
bestimmen. Kontingente, akustische, zeitserielle Ereignisse an sich waren
erstmals auf der Ebene ihrer Frequenzen mit dem Phonographen speicherbar.
Phonographenwalzen und später Schallplatten aber lassen sich nicht
sinnvoll98
98 Aber auch dies läßt sich selbstverständlich thematisieren: Der unabhängige
Radiosender »freies sender kombinat« aus Hamburg hat in seinem Programmheft
im Mai 98 seinen Hörern ein Cut, Copy & Paste-Verfahren mit Vinylplatten
vorgeschlagen. Mit zwei ganz normalen Schallplatten und einem Paketklebeband ist, das
verspricht der Artikel, eine sog. »Endlos-Platte« realisierbar. Dazu sollen die
Schallplatten jeweils halbiert werden. Unter Zuhilfenahme des Paketklebebands
sollen anschließend zwei verschiedene Hälften neu zusammengefügt werden.
Die erste, so hergestellte, »Endlos-Platte« besteht je zur Hälfte aus beliebten,
von Kinderchören vorgetragenen Weihnachtsliedern und den Aufnahmen aus
einer halbierten Witzeplatte. Vgl. freies sender kombinat, radio im mai 98
(1998)(Programmheft).
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wie ein Tonband zerschneiden und wieder neu verkleben. Der DJ als Echtzeit-Cutter hat
in diese Leerstelle ein Mischpult eingefügt, das ganz einfach zwei oder mehr
Schallplattenspieler miteinander verschaltet.
Seit Edison ist damit auf der Ebene des ›Reellen‹ möglich, was bei
Bach nur in den
Sphären der musikalischen Intervalle vollzogen werden konnte. Dies führen die im
Medium der Zeitachsenmanipulation entstandenen, zahlreichen Formen der Montage und
Collage in der Musik heute vor.
4.2. Zur Repositionierung analoger Formen in digitalen Medien
»Der Traum der Alchemie war es, alle Stoffe ineinander umzuwandeln;
die neue Alchemie des Computers verwandelt alle Formen
ineinander.«99
99 Boom (1991, S. 183) (Hervorhebungen im Original).
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Digitale Medien absorbieren die Formen der analogen Medien, lassen sie in einem neuen
Licht erscheinen. Computerbildschirme eröffnen neue Beobachtungsverhältnisse. Dieser
Abschnitt soll zum nächsten Kapitel »Formen der Medialisierung« überleiten. Die
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