4.1.3.1 Aufzeichnungstechnologie als Medium
Die jeweilige Materialität und Technik der Reproduktionsmedien ist selbst zum
Medium
(Luhmann) geworden. Technikgeschichte läßt sich als eine Geschichte der Differenzierung
in Gerätetypen aufschreiben. Vom Phonographen bis zu den digitalen Medien sind von
Gerät zu Gerät spezifische Klangcharakteristika und Handlungsoptionen entstanden (vgl.
Mediengeschichte, technische Grundlagen), die sich jeweils dem Klangbild und der
musikalischen Praxis aufgeprägt haben. In der heute weit verbreiteten künstlerischen Praxis
des Medien-Mix fließen sie mit ein und bilden u.a. neue (Meta-)Formen als Figuren der
Intermedialität.85
85 Vgl. dazu auch den Abschnitt 5.2 »Figuren der Intermedialität«.
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Die Reproduktionstechnik von Musik orientiert sich (1) an der Physis des
menschlichen
Hörens86
86 Der Mensch hört Tonhöhen zwischen ca. 16–16000 Hz. Die Sensibilität des
menschlichen
Hörens ist besonders ausgeprägt für Tonstärken zwischen 50–80 dB und auf mittlere
Höhen zwischen 300–3000 Hz. Vgl. Moles (1971, S.23ff).
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und (2) dem klassischen
Orchester als Klangideal87
87 Selbst die jüngere Samplergeneration, wie der Gigasampler von Nemesys, zeichnen sich
noch besonders durch die »naturgetreue Reproduktion echter Instrumente wie Flügel
oder Orchesterinstrumente.« aus. Im Angesicht von Geige und Klavier erscheint der
Sampler in diesem Zitat als unechtes Instrument. Vgl. Ziebarth (1998, Zitat: S.
67).
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Umgekehrt kann man sagen, daß die Aufnahmeapparaturen derart tief in die
Wirklichkeit eindringen, daß jedes Bild die Spur des Mediums selbst trägt und damit die
berühmte These McLuhans, das Medium selbst sei die Botschaft, technisch
wohlbegründet.88
88 Vgl. Bolz (1993a, S. 112).
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Die technische Entwicklungsgeschichte der Reproduktionsmedien isoliert betrachtet, ist
von dem Ideal der Übereinstimmung von Vorlage und Abbild bestimmt. Wichtige
technische Parameter dabei bilden die Synchronisation der Aufnahme- und
Wiedergabegeschwindigkeit89
89 Mit der Standardisierung der Abspielgeschwindigkeit im Bereich der Consumer
Electronic.
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die Breite des Frequenzspektrums, die Regelmäßigkeit des Frequenzganges
und der Dynamikumfang. Die Reproduktionsmedien, z.B. aus der Zeit
der mechanischen Aufzeichnungssysteme mit ihrem unregelmäßigen
Frequenzgang90
90 Zur Wirkung des Frequenzgangs in der Tonaufzeichnung: »Der akustische Effekt läßt
sich mit der Bildverzerrung vergleichen, die man beim Betrachten eines Films [...]
hervorrufen könnte, indem man durch eine Glasscheibe mit unregelmäßiger Dicke schaut.
Alle Bilder wären dann in derselben Weise verzerrt. Um die Klangfarbe möglichst
originalgetreu wiederzugeben, muß der Frequenzgang der Systeme flach verlaufen.«
David (1988, S. 154).
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und dem schmalen Frequenzspektrum der Tonaufzeichnung zwischen 100
und 5000 Hertz, stellten eine technische Konstante dar, der sich die
Musiker und die Musikinstrumente unterordnen mußten. Ganze Werke und
Arrangements wurden umgeschrieben, damit sie besser in die Medien
paßten.91
91 Vgl. Abschnitt 2.1.2 »Von der Reproduktion zur (Re-)Produktion von Musik«.
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Für die Frühgeschichte der analogen (Re-)Produktion lassen sich die technischen
Parameter von Schallplatte und Tonband tabellarisch wie folgt zusammenfassen:
Heutige Schallplatten weisen einen Dynamikumfang zwischen ca. 45 bis 55 dB und ein
Frequenzspektrum von 20–20000 Hz auf. Hochwertige Tonbandmedien verfügen über
einen Dynamikumfang von 60–70 dB, Rauschunterdrückungssysteme können diese
Werte, nicht ohne eine Veränderung des Klanges, noch um 6–20 dB erhöhen.
Tonbandmedien registrieren, etwas besser als das menschliche Hörvermögen, ein
Frequenzspektrum zwischen 20–20000 Hz. Daß selbst derartig technische
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