beispielsweise war ein Meister der ›montage invisible‹. Seine Interpretation
Mozarts
Klaviersonate D-Dur KV 311 wirkt wie ›aus einem Guß‹, besteht aber aus nicht
weniger als 41
Tonbandversatzstücken.64
64 Vgl. Gould (1987b, S. 178ff).
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Der ›montage invisible‹ bei Gould kann die ›montage visible‹ in Williams Mix von John
Cage (1952) entgegengesetzt werden. Auf der Grundlage von Zufallsoperationen
nach dem I Ging hat Cage gemeinsam mit David Tudor 1097 Tonbandschnipsel
zusammengeklebt. Williams Mix hat eine Spieldauer von nur vier Minuten
und bietet daher als Hörereignis eine extreme Verdichtung von heterogenen
Klangmaterialen.65
65 »He used six categories of sounds: city sounds, country sounds, electronic
sounds, manually-produced sounds (including instrumental music), wind-produced
sounds (including singing), and ›small‹ sounds (that is, sounds so quiet and
subtle that they need close miking and amplification to be heard).« Pritchett,
James, »Something like a hidden glimmering: John Cage and recorded sound«,
http://www.music.princeton.edu/jwp/ (18.11.1999).
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Mit Williams Mix sind die Grenzen der Beschleunigung von Einzelklängen
durch Tonbandmontage aber noch nicht erreicht. Gottfried Michael Koenig
brachte, ebenfalls in den fünfziger Jahren, die ›montage visible‹ und die ›montage
invisible‹ gleichsam in einen Schwebezustand. Koenig betrieb Komposition von
Klangfarbentransformationen durch horizontale Schnittechnik am Tonband. Er
spielte dabei mit den Grenzen der menschlichen Wahrnehmung, denn es entsteht
beim Hörer der Eindruck einer Sukzessionsverwischung, wenn Tonfolgen in
einem Geschwindigkeitsbereich oberhalb der Wahrnehmungsschwelle abgespielt
werden. Manipuliert werden also unmöglich noch wahrnehmbare Zeitpunkte im
Hochfrequenzbereich. Der Effekt der Sukzessionsverwischung im Auditiven ist
vergleichbar mit der Illusion von Kontinuität, wie sie im Visuellen der Film mit den
Projektionen von 20 Einzelbildaufnahmen pro Sekunde das Bewußtsein des
Zuschauers konstruiert. »Die gleiche Grenze von etwa 1/20 sec, also 50 msec,
gilt auch für die Wahrnehmung einzelner Töne oder Klänge innerhalb einer
Sukzession.«66
Die Bandmaschinen, die bis Mitte der fünfziger Jahre in den Tonstudios der Neuen
Musik in Europa verwendet wurden, liefen mit einer Bandgeschwindigkeit von 76 cm/sec
(die später übliche Bandgeschwindigkeit in den Tonstudios betrug 38 cm/sec). Bei dieser
Geschwindigkeit konnte die Grenze zur Sukzessionsverwischung erreicht werden.
Annähernd vier einzelne Klangereignisse, Ligeti experimentierte mit Sinustönen, ließen
sich außerhalb der Wahrnehmungsgrenze von 50 msec in Form von fast vier
aneinandergeklebte Bandstückchen von jeweils 1 cm anordnen und abspielen. György
Ligeti kommentiert Koenig wie folgt:
»Der Höreindruck, den solche Tongebilde erwecken, ist sonderbar – vorher
hatte es keine Hörerfahrungen mit Tonknoten und Tonknäueln gegeben. Töne
oberhalb der Verwischungsgrenze sind tatsächlich unterscheidbar als Glieder
einer melodischen Linie, beim Eintauchen in den Bereich unterhalb der Verwischungsgrenze
entsteht jedoch nicht nur die Illusion einer Simultaneität der faktisch sukzessiven
Toneinsätze, sondern auch eine neue Klangqualität. Koenig nannte diese
Klangqualität ›Bewegungsfarbe‹. Ein rhythmischer Vorgang, die ›überschnelle‹
Tonfolge, schlägt um in eine ständig irisierende Klangfarbe. Der Rhythmus ist
als Bewegung nicht mehr hörbar, sondern erscheint in unserer Wahrnehmung
als stationärer Zustand.«67
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