- 70 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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»Standardisierung ist immer eine Ausflucht der Konzernleitungen vor technischen Möglichkeiten.«22
22 Kittler (1982, S. 57)
Standardisierungen (wie z.B. heute bei den digitalen Kompressionsverfahren MP3, Real Audio, Windows Media Player etc.) sind Austragungsort wirtschaftlicher Machtinteressen.

Manipulationen der Abspielgeschwindigkeit führen zu relativen Transpositionen des gesamten Klanges. Je schneller die Abspielgeschwindigkeit, desto höher der Klang, je langsamer desto tiefer. Kodwo Eshun spricht von einer »phonoplastischen Legierung«23

23 Eshun (1999, S. 17).
der Musik durch Phasenverschiebung: »Stimmen werden zu klappernden, schnatternden Texturen, Blasen gepitchten Klangs, die entlang dem Spektrum der Technics-Geschwindigkeit verschoben [...] werden.«24
24 Ebd.
Friedrich Kittler schreibt:

»Sicher, Töne höher oder tiefer setzen konnte auch die schriftliche Musik Europas, wie der Name Tonleiter es schon verspricht. Aber Transposition ist noch keine TAM [Time Axis Manipulation]. Wenn beim Phonographen die Wiedergabegeschwindigkeit von der Aufnahmegeschwindigkeit abweicht, wandern nicht nur saubere Töne, sondern Geräuschspektren in ihrer Gesamtheit. Manipulierbar wird statt dem Symbolischen das Reale.«25

25 Ebd.

Edison selbst hat in New York 1877 die Kurbel des Phonographen bedient, als er seinem New Yorker Publikum frequenzversetzte Musikstücke durch schnelleres Abspielen vorführte. In der Pionierzeit der Medienmusik in den 20er Jahren haben u.a. Paul Hindemith und Ernst Toch Schallplatten als Klangerzeuger eingesetzt, indem sie die Abspielgeschwindigkeit, und damit die Tonhöhe der aufgenommenen Klänge, manipulierten. Durch abrupte Veränderungen der Geschwindigkeit hat Ernst Toch sogar Rhythmen entwickeln können.

»So komponierte Toch seine Vierstimmige Fuge aus der Geographie, indem er vier Stimmen verschiedene Städtenamen sprechen ließ und auf Schallplatte aufnahm, dann die Drehgeschwindigkeit variierte, so daß sich die Sprache in einen gleichsam orchestralen Singsang verwandelte.«26

26 Schöning (1996, S.64)

Von musikalischen Formen wie der Fuge losgelöst, führen heute DJs die musikalischen Spielmöglichkeiten mit der Manipulation der Abpielgeschwindigkeit vor.

Abspielrichtung – Vorwärts/Rückwärts
Die Zeitachsenumkehr, die schon der Phonograph erlaubte, bringt den zumeist längeren Ausschwingvorgang eines Klanges nach vorne, sein steiles Einschwingverhalten ans Ende.

»Wie die Columbia Phonograph Company 1890 erkannte, ist der Phonograph eben auch als Musikkomponiermaschine verwendbar, einfach indem biedere Konsumenten ihre Lieblingsstücke rückwärts abspielen: ›Ein Musiker könnte auf dem Weg dieses Experiments täglich zu einem neuen Schlager kommen‹, hieß es im Firmenprospekt.«27

27 Kittler (1982, S. 58).


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