»Edisons Phonograph entstand als Nebenprodukt beim Versuch, Telephonie
und Telegraphie zu optimieren. [...] Ein Fernschreiber als künstlicher Mund,
ein Telephon als künstliches Ohr – dem Phonographen stand nichts mehr im
Weg.«11
11 Kittler (1982, S. 46f).
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Es handelte sich dabei um einen auf eine Schraubspindel montierten Zylinder mit
Handkurbel, der mit einer Zinnfolie als Aufnahmemedium bespannt war. Über eine
Schallmembran schrieben sich die Schallschwingungen mit Hilfe eines Aufnahmestichels
in Form von Berg-und-Tal-Kurven als Tiefenschrift in die Zinnfolie ein. Beim
Abspielvorgang ließ sich diese ›Schrift‹ mittels Wiedergabenadel und Trichter wiederholt
hörbar machten. Der relativ primitiv anmutenden Konstruktion der Phonographenwalze
zum Trotz, weist Friedrich Kittler (mit Lacan) darauf hin, daß mit ihr auch ein
Paradigmenwechsel in der Musik stattgefunden hat: »Reales rückt an die Stelle des
Symbolischen.«12
12 Ebd. (S. 42); Kittler schreibt an gleicher Stelle dazu: »Obertöne sind Frequenzen,
also
Schwingungen in der Sekunde. Und nichts anderes als Schwingungen verzeichnet Edisons
Phonograph auf seinen Rillen. Intervalle und Akkorde dagegen waren Verhältnisse, also
Brüche aus den ersten ganzen Zahlen. Man teilte die Länge einer Saite (zumal auf dem
Monochord) und erhielt aus den einfachen Brüchen, die bei Phytagoras den
stolzen Namen logoi trugen, Oktaven, Quinten, Quarten und so weiter. Auf
solcher Logik war alles zu begründen, was in Alteuropa Musik hieß: [...] ein
Notationssystem, das aus allen Geräuschen dieser Erde die sauberen Töne aussonderte
und aufschreibbar machte [...] Mit alledem bricht der Begriff Frequenz, wie ihn erst
das neunzehnte Jahrhundert entwickelt. Anstelle des Längenmaßes tritt als
unabhängige Variable die Zeit. Eine physikalische Zeit, die mit den Metren
oder Rhythmen der Musik nichts zu tun hat und Bewegung quantifiziert, deren
Schnelligkeit kein Menschenauge mehr erfasst: von 20 bis 16000 Schwingungen pro
Sekunde.«.
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Edison selbst akzentuierte, wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund der schlechten
Wiedergabequalität, weniger die musikalischen Fähigkeiten seiner Erfindung, sondern die
Möglichkeiten zur Sprachwiedergabe. In einem Artikel in der »North Review« vom Juni
1878 schrieb Edison seine Phantasien zu den Verwendungsmöglichkeiten des
Phonographen nieder:
- Aufnahme von Briefen aller Arten von Diktaten ohne Hilfe eines
Stenographen;
- Phonographische Bücher, die ohne weiteres zu Blinden sprechen können;
- Sprachunterricht;
- Wiedergabe von Musik;
- Klingendes Familienarchiv – eine Sammlung von Aussprüchen,
Erinnerungen usw. von Familienmitgliedern in eigerner Stimme und die
letzten Worte von Sterbenden;
- Musikboxen und Spieldosen;
- Uhren, die mit deutlicher Stimme mitteilen, wann es Zeit ist, nach Hause
zu gehen, Mahlzeiten einzunehmen usw.;
- Festhalten des richtigen Akzents verschiedener Sprachen;
- Hilfsmittel für den Unterricht, um die Erklärungen des Lehrers dem
Schüler jederzeit verfügbar zu machen;
- Anschluß an das Telephon, damit dessen flüchtige Mitteilungen für immer
aufbewahrt werden können.«13
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