- 64 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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»Edisons Phonograph entstand als Nebenprodukt beim Versuch, Telephonie und Telegraphie zu optimieren. [...] Ein Fernschreiber als künstlicher Mund, ein Telephon als künstliches Ohr – dem Phonographen stand nichts mehr im Weg.«11

11 Kittler (1982, S. 46f).

Es handelte sich dabei um einen auf eine Schraubspindel montierten Zylinder mit Handkurbel, der mit einer Zinnfolie als Aufnahmemedium bespannt war. Über eine Schallmembran schrieben sich die Schallschwingungen mit Hilfe eines Aufnahmestichels in Form von Berg-und-Tal-Kurven als Tiefenschrift in die Zinnfolie ein. Beim Abspielvorgang ließ sich diese ›Schrift‹ mittels Wiedergabenadel und Trichter wiederholt hörbar machten. Der relativ primitiv anmutenden Konstruktion der Phonographenwalze zum Trotz, weist Friedrich Kittler (mit Lacan) darauf hin, daß mit ihr auch ein Paradigmenwechsel in der Musik stattgefunden hat: »Reales rückt an die Stelle des Symbolischen.«12

12 Ebd. (S. 42); Kittler schreibt an gleicher Stelle dazu: »Obertöne sind Frequenzen, also Schwingungen in der Sekunde. Und nichts anderes als Schwingungen verzeichnet Edisons Phonograph auf seinen Rillen. Intervalle und Akkorde dagegen waren Verhältnisse, also Brüche aus den ersten ganzen Zahlen. Man teilte die Länge einer Saite (zumal auf dem Monochord) und erhielt aus den einfachen Brüchen, die bei Phytagoras den stolzen Namen logoi trugen, Oktaven, Quinten, Quarten und so weiter. Auf solcher Logik war alles zu begründen, was in Alteuropa Musik hieß: [...] ein Notationssystem, das aus allen Geräuschen dieser Erde die sauberen Töne aussonderte und aufschreibbar machte [...] Mit alledem bricht der Begriff Frequenz, wie ihn erst das neunzehnte Jahrhundert entwickelt. Anstelle des Längenmaßes tritt als unabhängige Variable die Zeit. Eine physikalische Zeit, die mit den Metren oder Rhythmen der Musik nichts zu tun hat und Bewegung quantifiziert, deren Schnelligkeit kein Menschenauge mehr erfasst: von 20 bis 16000 Schwingungen pro Sekunde.«.
Edison selbst akzentuierte, wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund der schlechten Wiedergabequalität, weniger die musikalischen Fähigkeiten seiner Erfindung, sondern die Möglichkeiten zur Sprachwiedergabe. In einem Artikel in der »North Review« vom Juni 1878 schrieb Edison seine Phantasien zu den Verwendungsmöglichkeiten des Phonographen nieder:
  1. Aufnahme von Briefen aller Arten von Diktaten ohne Hilfe eines Stenographen;
  2. Phonographische Bücher, die ohne weiteres zu Blinden sprechen können;
  3. Sprachunterricht;
  4. Wiedergabe von Musik;
  5. Klingendes Familienarchiv – eine Sammlung von Aussprüchen, Erinnerungen usw. von Familienmitgliedern in eigerner Stimme und die letzten Worte von Sterbenden;
  6. Musikboxen und Spieldosen;
  7. Uhren, die mit deutlicher Stimme mitteilen, wann es Zeit ist, nach Hause zu gehen, Mahlzeiten einzunehmen usw.;
  8. Festhalten des richtigen Akzents verschiedener Sprachen;
  9. Hilfsmittel für den Unterricht, um die Erklärungen des Lehrers dem Schüler jederzeit verfügbar zu machen;
  10. Anschluß an das Telephon, damit dessen flüchtige Mitteilungen für immer aufbewahrt werden können.«13
    13 Jungk (1971, S. 20).


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