»daß sich bestimmte Probleme nur dann verstehen, analysieren und lösen
lassen, wenn man sie als Erscheinungen eines Gesamtzusammenhanges betrachtet,
der eine eigene, quasi lebendige Identität besitzt, der scheinbar ein Wesen für
sich ist, mit eigenen Funktionsgesetzen, Absichten, Zielen, internen Interaktionen,
externen Austauschvorgängen [...] usw. [...].«73
73 Luhmann (1984, S. 19).
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Niklas Luhmann74
74 Niklas Luhmann (1927–1998), studierte Rechtswissenschaften und arbeitete als
Verwaltungsbeamter am OVG Lüneburg und später als Landtagsreferent im
niedersächsischen Kultusministerium. Die anvisierte Beamtenkarriere fand ihr
Ende, als Luhmann 1960 für zwei Jahre bei Talcott Parsons die Systemtheorie
studierte. Zurück in Deutschland habilitierte Luhmann 1966 an der Universität
Münster, unterstützt von Helmut Schelsky und Dieter Claessens. 1968 wurde er
an die Universität Bielefeld berufen, wo er bis zu seinem Tod als Soziologe
wirkte.
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hat die allgemeine Systemtheorie Talcott Parsons an der Harvard University studiert, um zu
erfahren, »wie so eine große Theorie wie die Parsons gebaut ist und woran sie scheitert, wenn sie
scheitert.«75
75 Luhmann, in: Baecker (Hg.)(1987b, S. 134).
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Die funktionale Gesellschaftstheorie Parsons erweitert Luhmann mit der Einführung des
axiomatischen Paradigmas der Differenz von System und Umwelt in Verbund mit der
Theorie autopoietischer Systeme. Seit dem Erscheinen des Buches »Soziale Systeme,
Grundriß einer allgemeinen Theorie« (1984) arbeitete der 1998 verstorbene Soziologe an
einer universellen Gesellschaftstheorie, die in dem zuletzt erschienen Buch »Die
Gesellschaft der Gesellschaft« (1997) mündete. Zu diesem Theorieprojekt gehören
weiterhin: »Die Wirtschaft der Gesellschaft« (1988), »Die Wissenschaft der Gesellschaft«
(1990), »Das Recht der Gesellschaft« (1993) und »Die Kunst der Gesellschaft«
(1995).76
76 Für eine vollständige Übersicht der mehr als 200 unselbstständig
erschienenen Schriften
Luhmanns bis 1987 siehe: Baecker(Hg.)(1987a).
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Mit dem Aufsatz
»Das Medium der Kunst«77
fügt Luhmann – in Anlehnung an die Schrift »Ding und Medium« von Fritz
Heider78
– der System-Umwelt-Differenz die Differenz von Medium und Form bei, die er u.a. in »Die
Kunst der Gesellschaft« und »Die Gesellschaft der Gesellschaft« weiter ausformuliert.
Luhmanns Theorien werden kontrovers diskutiert. Gefragt wird, ob Luhmanns
»Supertheorie«79
79 Vgl. Marius; Jahraus (1997).
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dem »Größenwahn eines Lüneburger
Verwaltungsbeamten«80 entspringt,
oder ob sie eine »terroristische«81
»Metaerzählung«82
82 Zu dem Begriff »Meistererzählung« vgl. Lyotard, Jean-Francois,
»Randbemerkungen zu
den Erzählungen«, in: Engelmann (Hg.)(1990).
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ist, oder ob sie eine Theorie mit sozialtechnologischem und konservativem
Erkenntnisinteresse ohne jegliches kritisches Potential ist, denn es kommt,
so Jürgen Habermas, eine Theorie sozialer Systeme »gar nicht umhin,
sich auf die Komplexitätssteigerung moderner Gesellschaften affirmativ
einzustellen«.83
83 Habermas (1985, S. 426).
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Das nur wenig hinterfragte Etikett, daß Luhmanns Theorie unkritisch und restaurativ sei, kursiert
in der Soziologie seit den frühen siebziger Jahren mit dem akademischen Streit zwischen Habermas
und Luhmann84,
welcher zugleich den Beginn von Luhmanns fachöffentlicher
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