Die bedingte Glaubwürdigkeit der analogen Medien verliert sich auch
bei Luhmann in
den digitalen Medien. Im Umgang mit Computern ist der Vorgang der Eingabe von
Daten und das Abrufen von Informationen so weit getrennt, daß Realität und
Repräsentation vollständig entkoppelt erscheinen.
»Wer etwas eingibt, weiß nicht (und wenn er es wüßte brauchte er den
Computer nicht), was auf der anderen Seite entnommen wird. Die Daten sind
inzwischen ’verarbeitet’ worden. [...] Das heißt: die Autorität der Quelle mit
all den erforderlichen sozialstrukturellen Absicherungen (Schichtung, Reputation)
wird entbehrlich, ja durch Technik annulliert und ersetzt durch die Unbekanntheit
der Quelle.«71
Luhmann schlägt im Zusammenhang mit Computertechnik sogar eine Brücke zu
einem
medientechnisch applizierten Medium für Formen.
»In unserer Begrifflichkeit muß das heißen, daß ein neues Medium im Entstehen
ist, dessen Formen nun von den Computerprogrammen abhängig sind. Zwar
entscheiden diese Programme noch nicht, wie das Medium die Kommunikation
selbst zu Formen verdichtet, denn dazu gehören die Ereignisse des Eingebens
und Entnehmens von Informationen. Aber die Programme sind, wie einst
die grammatischen Regeln der Sprache, Formen, die die Möglichkeiten der
strikten Kopplung einschränken und damit ins unabsehbare ausweiten können.«72
Luhmann nähert sich damit vorsichtig den neueren Medientheorien an. Hätte
der
Soziologe eine Kritik an diesen Theorien geäußert, dann würde sie wahrscheinlich
darauf abzielen, daß in den Medientheorien überwiegend mediendeterministische,
materialistische Weltbilder entworfen werden, die die komplexen sozialen Prozesse in der
Gesellschaft ausblenden.
Luhmanns Theorien, insbesondere sein Beobachtungsinstrument Medium und Form,
haben mit Medientheorie nur wenig gemein. Joachim Paech hat dennoch in
seiner Theorieaneignung Luhmanns Konzepte in die Medientheorien und in die
Diskussionen um den Begriff Intermedialität eingeführt. Er untersucht mit Medium und
Form als Beobachtungsschema Film und Fotographie. Kapitel 5 »Formen der
Medialisierung« versucht Paechs Ansatz auf Medienmusik zu übertragen. Zum besseren
Verständnis der Konstruktion von Medium und Form, so wie sie Luhmann
entwickelt hat, soll zunächst Text und Kontext der Systemtheorie näher erläutert
werden.
3.3.2. Text und Kontext der Systemtheorie
Wie die Medientechnik hat auch die moderne, allgemeine Systemtheorie eine
militärische
Vergangenheit. Sie wurde etwa um 1940 von Ludwig von Bertalanffy entwickelt.
Krisenstäbe und spezielle Forschungs- und Strategiekommissionen versuchten in
jener Zeit des Zweiten Weltkriegs, die Pragmatik militärischer Logik und die
philosophische Tradition ganzheitlichen Denkens miteinander zu verbinden. Man
erkannte,
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