- 38 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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plädiert für »Wissenswissenschaften«, die über »die Grenze zwischen Ingenieurs- und Kulturwissenschaften hinweg [...] die Speicherung und Übertragung zum Thema machen.«30
30 Kittler (1997a, S. 144).
Welche ›blinden Flecke‹31
31 Der blinde Fleck geht zurück auf das nach Mariotte (1620–1684) benannte Mariottesche Experiment. Durch dieses Experiment wird etwas sichtbar, was wir beim Sehen übersehen: der blinde Fleck. Er wird metaphorisch in den wissenschaftlichen Diskussionen bei Beobachtungsproblemen ins Feld geführt; z.B. bei der Beobachtung medialer Zäsuren die als Unsichtbares das Sichtbare gleichwohl bedingen, aber nie vor Augen treten. Vgl. Tholen (1997, S. 103).
in der Kulturgeschichte werden auf diese Weise sichtbar? Kittler führt z.B. zu einer Beschreibung von Rock- und Popmusik, die ihre Entstehung nicht wie allgemein üblich an die Geschichte(n) ihrer Protagonisten, Autoren oder Stars, den urbanen, afroamerikanischen Cultural Clash im 20. Jahrhundert usw. bindet32
32 Vgl. z.B. Halbscheffel; Kneif (1992, S. 402ff).
, sondern auf das »Medienplateau des 2. Weltkriegs« verlegt.

»Massenmedien der Interzeption wie die Rock Musik sind Mobilmachung, also das gerade Gegenteil von Benjamins Zerstreuung. Was 1936 nur der einmalige, aus achtzig Fahrzeugen bestehende »Reichsautozug Deutschland« möglich machte – nämlich von Parteitagen und Großkundgebungen ohne jegliche lokalen Hilfsmittel Rundfunkübertragungen durchzuführen, Lautsprecheranlagen größten Stils zu installieren, Tribünen zu errichten und dergleichen mehr – : genau das leisten Nacht für Nacht die Sattelschlepper und Kilowattanlagen jeder Rockgruppe. Sie entführen, randvoll mit Elektronik oder Heeresgerät, in[s] Electric Ladyland33

33 Kittler (1986, S. 170) (Hervorhebungen im Original).

»Funkspiel, UKW-Panzerfunk, Vocoder, Magnetophon, U-Boot-Ortungstechnik, Bomberrichtfunk usw. haben einen Mißbrauch von Heeresgerät freigegeben, der Ohren und Reaktionsgeschwindigkeiten auf den Weltkrieg n + 1 einstimmt. Radio, dieser erste Mißbrauch, führt von WW I zu WW II, Rock Musik, der nächste, von WW II zu WW III.«34

34 Ebd.

Zu vergleichbaren wenn auch nicht derartig militärisch fokussierten Befunden, kam noch vor Kittler der kanadische Literaturwissenschaftler Marshall McLuhan (1911–1980). Seit McLuhan gelten Medien – und damit die Techniken der Konnektivität und des Transfers – in den einschlägigen Diskursen als formprägende Bedingungen von Kultur, sie determinieren ihre Inhalte. Marshall McLuhan bindet die Medien als »extensions of man« (McLuhan) an den Menschen zurück, er technifiziert den Menschen. Er beschreibt Medientechnologien zugleich als Ausweitungen und Amputationen des menschlichen Sensoriums »in a true Narcissus style of one hypnotized by the amputation and extension of his own being in a new technical form«.35

35 Ebd. (S. 11).
Die Figuren der Medien als formprägende Bedingung und als Organverlängerung36
36 Derrida rekurriert dabei aber nicht auf McLuhan, sondern auf das Freudsche Bild des Menschen als Prothesengott. Vgl. Freud (1965).
werden auch außerhalb des engeren Kreises der Medientheorie diskutiert. Jacques Derrida z.B. beschreibt das Archiv als äußeren Ort der Konsignation37
37 Konsignieren bezeichnet das Versammeln von Zeichen.
,

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