- 36 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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»Medialisierung der Partitur: Hier wird das Potential der Mehrspurtechnik, des variablen Raums, der Abmischung und der Bandedition nicht in erster Linie zur Live Simulation genutzt, sondern zum Partitur-Gehorsam. Diesem Konzept kommt entgegen, daß die technische Reproduktion auch den Versammlungszwang der Interpreten aufhebt: Zu verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten entstandene Teilstücke (takes) können in die Realisierung eingehen. In der Praxis tendiert man bald dazu, alle Mittel musikalischer Technik aufzubieten, um der Partitur in einer Weise zu entsprechen, die bei Live-Darbietungen oft gar nicht realisiert ist.«20

20 Blaukopf (1993, S. 178f).

Mit »Medial-autonomer Realisierung« weist Blaukopf auf Rückkopplungseffekte hin, bei denen mediale Hörgewohnheiten die Musikpraxis präformieren. Heute dient z.B. überwiegend die Musik des Tonträgers – nicht nur im Bereich der populären Musik – als Vorlage für das Live-Konzert. Rolf Großmann merkt dazu aus konstruktivistischer Perspektive an:

»Schon das ›wie‹ und ›was‹ des Spiels finden vor dem Hintergrund der durch die Medien mitgeformten individuellen Wirklichkeit (Gestaltwahrnehmung, Klangvorstellung etc.) statt.«21

21 Großmann, (1997, S. 62).

Der letzte Begriff aus Blaukopfs Typologie zielt ab auf eine autonome – von einer nichtmedialen Musikpraxis losgelösten – Form medialer Musikpraxis:

»Sie macht die technisch fixierte Gestalt von Musik zur Primärgestalt. [...] Live-Schall wird durch elektronische Klangsynthese ersetzt. Das Medium fungiert als Musikinstrument [...].«22

22 Blaukopf (1993, S. 179).

Medienmusik bewegt sich demnach (wieder) zwischen den Dichotomien einer ›natürlichen‹ und einer ›künstlichen‹ Musik. Für die folgende formalistische Analyse der Musik der (Re-)Produktionsmedien werden diese Dichotomien begrifflich zugunsten einer allgemeiner formulierten Unterscheidung zwischen nicht medialer und medialer Musik gewendet.

Auf der Seite der medialen Musikpraxis schlägt Christoph Reinecke für eine Beobachtung von Montage und Collage in der Tonbandmusik die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Montage23

23 Vgl. das Kapitel »Montage und Collage in der Tonbandmusik – eine Typologie zweier Kompositionsverfahren«, in: Reinecke (1986).
vor. Er hat diese Unterscheidung aus den Diskursen der Pariser Musique concrète von Michel Chion übernommen. Die Begriffe, die auf Visuelles abheben, aber auf Auditives übertragen werden, stammen aus der Filmtheorie. Reinecke verwendet sie ihrem Ursprung gemäß in französischer Sprache. Bei der ›montage invisible‹ kommt es zur Verdeckung von Klebeoperationen – sie ist die Kunst des reibungslosen Übergangs. »Die ›montage invisible‹ tendiert zur Komposition von Kontinuitäten und zu ›syntaktischer‹ Geschlossenheit [...].«24
24 Ebd. (S. 65).
Die ›montage visible‹ bekennt sich im Gegensatz dazu »zur Buntheit und Morphologie ihrer Materialien, kehrt [ein] klangphysiologisches Spiel hervor,

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