jeweils die einzelnen
Tonbandabschnitte zu ganzen Stücken zusammen. Gould nutzte die Handlungsoptionen
der Mikrofonierung und des Tonbandschnitts. Die fertigen Produktionen lassen aber
nicht auf das Stückwerk ihrer Entstehung schließen. Die Übergänge zwischen
den einzelnen Tonbandpassagen erfolgen reibungslos, so daß in der Rezeption
der Eindruck von Kontinuität und Geschlossenheit entsteht – eine »montage
invisible«92
92 Vgl. Abschnitt 3.1. »Musikwissenschaftliche Perspektiven«.
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par excellence. Gould setzte die technischen Mittel in der Logik der (Re-)Produktion ein
und erweitert damit seine interpretatorischen Möglichkeiten zugunsten eines medial
idealisierten Klavierspiels. Gould sagt:
»Es wäre wunderbar, wenn das, was wir in Gestalt einer Aufnahme verwirklichen,
bis zu einem gewissen möglichen Grad vollkommen wäre, nicht allein technisch,
sondern auch und vor allem geistig.«93
93 Gould, zitiert nach: Stegmann (1981, Sony Classical (CD-Booklet)).
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Die in dem Gouldschen Labor geborene Musik der Medienrealität knüpft
– dem Charakter
einer medialen Simulation zum Trotz – unmittelbar an den Begriff des musikalischen
Originals an, welchen Ernst Krenek an den Ort seiner medialen Speicherung
bindet.94
94 Siehe Abschnitt 2.1.1 »Original und Aura im Zeitalter ihrer technischen
Reproduzierbarkeit«.
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Das von Gould und seinem Schnittmeister erstellte Tonband ist, anders als bei den
Reproduktionen der »produktiven Distanz« von Konzerten, ein Original als Stand- bzw.
Urbild der Interpretation.
2.2.4. John Cage
Diametral zu den Strategien der (Re-)Produktion, die mit Hilfe der Medien
(Mittel) zu einer vom Komponisten oder Interpreten intendierten Idealisierung des
Höreindrucks (Zweck) kommen wollen, stehen die Strategien des amerikanischen
Komponisten John Cage. Cage kämmt den Gebrauch der Musikinstrumente und der
technischen Medien gegen den Strich ihrer funktionalen Bestimmung. Heinz-Klaus
Metzger schreibt den Werken von John Cage das Credo einer »freigelassenen
Musik«95
95 Metzger; Riehn (1978, S. 5).
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zu. Cage konnte seine Begriffe von ›chance‹ (Zufall) und ›indeterminacy‹ (Unbestimmtheit)
in der Musikwelt seiner Zeit etablieren.
»Was für Sigmund Freud die Entdeckung des Unbewußten bedeutete, war für
Cage die Entdeckung des Nichtintentionalen. ›The exploration of nonintention‹
gab dem Leben von Cage eine feste Richtung.«96
96 Bischoff (1992, S. 18).
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Vor diesem Hintergrund wird die Stoßrichtung der Medienkompositionen von Cage
deutlich:
»Komposition verhält sich kritisch gegenüber den verordneten Modellen der
Rezeption, wie sie der normierte Mediengebrauch vorschreibt, und umgekehrt
ermöglicht sie Einsicht in die gesellschaftlich bedingte Struktur der Rezeptionsweisen
›kreativer Handlungen‹. Ähnliches gilt für andere, nicht minder fixierte Verhältnisse,
wie etwa das von Produktion und Reproduktion.«97
97 Zeller (1990, S. 116).
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