- 22 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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Darum träumte der Klangidealist Schaeffer schon damals von einer Maschine, die von den materiellen Grenzen der Tonbandtechnik befreit und die »possibilités potentielles« erschließt.

»Alles was das Ohr aufnimmt, ist die mehr oder weniger zufällige – mehr oder weniger willensbetonte – Komposition einer guten Anzahl musikalischer Atome, die einem mehr oder weniger verwickelten inneren Mechanismus gehorchen. Der Zusammenhang dieses Standpunktes bringt uns nicht zu den rohen Phonogenen. Es bringt uns zu den elektronischen Instrumenten, nicht nur den wirklichen Wellengeräten – etwa von Trautwein oder Martenot –, sondern zu den Maschinen der Kybernetik. Wirklich nur Maschinen dieser Art (sie sind wahrscheinlich viele Tonnen schwer und kosten hunderte von Millionen!), denen Schwingkreise ein gewisses Gedächtnis verleihen, werden das unendliche Spiel verwickelter Zahlenkombinationen erlauben, das der Schlüssel aller musikalischen Erscheinungen ist [...] diese Maschinen werden eine aufgezeichnete Komposition in Töne übersetzen können. Geister, die in einem falschen Spiritualismus befangen sind, werden bei diesem Gedanken beleidigt sein, und das Wort ›Roboter‹ wird fallen.«83

83 Schaeffer, zitiert nach Prieberg (1960, S. 92).

Schaeffer bindet, all seinen Maschinenphantasien zum Trotz, die Apparatewelt des Tonstudios an die subjektive Wahrnehmung (das Hören) des Komponisten und holt sie damit zurück ins Anthropologische. Die technischen Medien (Mikrophon, Verstärker, Tonband etc.) erweitern den organischen, sensorischen Hörapparat des Komponisten, sie fungieren als prothetische Extensionen. Dies kann auch, mit Marshall McLuhan, als eine Ausweitung gelesen werden, vergleichbar mit der des jungen Narziß aus der griechischen Sage von Ovid.

»The youth Narcissus mistook his own reflection in the water for another person. This extension of himself by mirror numbed his perceptions until he became the servomechanism of his own extended or repeated image. The nymph Echo tried to win his love with fragments of his own speech, but in vain. He was numb. He had adapted to his extension of himself and had become a closed system.«84

84 McLuhan (1994, S. 41).

Worauf es Marshall McLuhan ankommt, ist der Umstand, daß Menschen sofort von jeder Ausweitung ihrer selbst in einen anderen Stoff fasziniert sind. Die mediale Repräsentation seiner musikalischen Ideen macht den Komponisten, wenn auch ungewollt, zum »Gadget Lover«.85

85 Ebd.
Wie jede Liebesbeziehung86
86 Die Liebesbeziehung, die die Menschen zu technischen Artefakten entwickeln, meint McLuhan ganz wörtlich. Sie offenbart sich z.B. in der Motivforschung, die die sexuelle Beziehung des Menschen zum Auto aufdeckte: »Man become, as it were, the sex organs of the machine world, as the bee of the plant world, enabling it to fecundate and to evolve ever new forms. The machine world reciprocates man’s love by expediting his wishes and desires, namely, in providing him with wealth. One of the merrits of motivation research has been the revelation of man’s sex relation to the motorcar.« Ebd. (S. 46).
narkotisiert auch die Liebe zu den technischen Medien. Sie macht den Komponisten blind. Er

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