Darum träumte der Klangidealist Schaeffer schon damals von einer
Maschine, die von
den materiellen Grenzen der Tonbandtechnik befreit und die »possibilités potentielles«
erschließt.
»Alles was das Ohr aufnimmt, ist die mehr oder weniger zufällige – mehr
oder weniger willensbetonte – Komposition einer guten Anzahl musikalischer
Atome, die einem mehr oder weniger verwickelten inneren Mechanismus gehorchen.
Der Zusammenhang dieses Standpunktes bringt uns nicht zu den rohen Phonogenen.
Es bringt uns zu den elektronischen Instrumenten, nicht nur den wirklichen
Wellengeräten – etwa von Trautwein oder Martenot –, sondern zu den Maschinen
der Kybernetik. Wirklich nur Maschinen dieser Art (sie sind wahrscheinlich
viele Tonnen schwer und kosten hunderte von Millionen!), denen Schwingkreise
ein gewisses Gedächtnis verleihen, werden das unendliche Spiel verwickelter
Zahlenkombinationen erlauben, das der Schlüssel aller musikalischen Erscheinungen
ist [...] diese Maschinen werden eine aufgezeichnete Komposition in Töne
übersetzen können. Geister, die in einem falschen Spiritualismus befangen
sind, werden bei diesem Gedanken beleidigt sein, und das Wort ›Roboter‹
wird fallen.«83
83 Schaeffer, zitiert nach Prieberg (1960, S. 92).
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Schaeffer bindet, all seinen Maschinenphantasien zum Trotz, die Apparatewelt des
Tonstudios an die subjektive Wahrnehmung (das Hören) des Komponisten und holt sie
damit zurück ins Anthropologische. Die technischen Medien (Mikrophon, Verstärker,
Tonband etc.) erweitern den organischen, sensorischen Hörapparat des Komponisten, sie
fungieren als prothetische Extensionen. Dies kann auch, mit Marshall McLuhan, als eine
Ausweitung gelesen werden, vergleichbar mit der des jungen Narziß aus der griechischen
Sage von Ovid.
»The youth Narcissus mistook his own reflection in the water for another
person. This extension of himself by mirror numbed his perceptions until
he became the servomechanism of his own extended or repeated image. The
nymph Echo tried to win his love with fragments of his own speech, but in
vain. He was numb. He had adapted to his extension of himself and had
become a closed system.«84
84 McLuhan (1994, S. 41).
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Worauf es Marshall McLuhan ankommt, ist der Umstand, daß Menschen sofort von jeder
Ausweitung ihrer selbst in einen anderen Stoff fasziniert sind. Die mediale Repräsentation
seiner musikalischen Ideen macht den Komponisten, wenn auch ungewollt, zum »Gadget
Lover«.85 Wie jede
Liebesbeziehung86
86 Die Liebesbeziehung, die die Menschen zu technischen Artefakten entwickeln, meint
McLuhan ganz wörtlich. Sie offenbart sich z.B. in der Motivforschung, die die sexuelle
Beziehung des Menschen zum Auto aufdeckte: »Man become, as it were, the sex organs
of the machine world, as the bee of the plant world, enabling it to fecundate and to
evolve ever new forms. The machine world reciprocates man’s love by expediting his
wishes and desires, namely, in providing him with wealth. One of the merrits of
motivation research has been the revelation of man’s sex relation to the motorcar.« Ebd.
(S. 46).
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narkotisiert auch die Liebe zu den technischen Medien. Sie macht den Komponisten
blind. Er
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