»Man wird die Musik nur in den Griff bekommen, wenn man auf zwei Wegen
gleichzeitig vorgeht: dem der elementarsten Objekte, die sich als Bausteine
der Strukturen erweisen, und dem der Strukturen selbst, die allein diese Objekte
herauszuheben und ihnen einen Sinn zu geben vermögen.«78
78 Ebd. (S. 37) (Hervorhebungen im Original).
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Diese Erkenntnisse führten Schaeffer zu einer Elementarlehre der musikalischen
Objekte.
Sie besteht aus fünf pädagogischen Regeln:
- Erste Regel:
Die Betreibung einer neuen Gehörbildung durch systematisches Hören
von Klangobjekten jeder Art. Das einzig Wichtige ist hier richtig
hören lernen, wobei Anfangsgründe der akustischen und elektronischen
Technik naturgemäß diese Lehrzeit erleichtern.
- Zweite Regel:
Klangobjekte schaffen, das heißt, sich in der tatsächlichen Realisierung
von Klängen üben, die so verschieden und ursprünglich wie nur möglich
sein sollen, und zwar in bewußtem Gegensatz zum traditionellen
Vorgehen, bei dem auf Notenpapier Symbole eingetragen werden, die
gleichsam Konfigurationen abstrakter Zeichen darstellen.
- Dritte Regel:
Musikalische Objekte bilden, das heißt, Apparate zur
Klangmanipulation handhaben lernen (ohne sie mit Musikinstrumenten
zu verwechseln): Magnetophone, Mikrophone, Filter usw.
- Vierte Regel:
Von der Konzeption von Werken Studien anfertigen, den
›Schulübungen‹ der traditionellen Musik vergleichbar, die den Anfänger
zwingen, unter der Verschiedenartigkeit der Ausführung seine Wahl zu
treffen
- Fünfte Regel:
Arbeit und Zeit – unerläßlich für jeden echten Aneignungsprozess.«79
Welches Verhältnis zu seinem Handwerkszeug, den Apparaten seines Studios
verbirgt
sich hinter diesem Regelwerk? Der Techniker Schaeffer war auf der Suche nach einer
grundlegenden systematischen Aufstellung allgemeingültiger Kriterien zur Klassifizierung
von Klängen. Sophie Brunet schreibt über Schaeffer, er war ein »polytechnicien
fourvoyé«80
80 Brunet (1986, S. 112).
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ein in die Irre geleiteter Ingenieur. Christoph Reineke charakterisiert ihn
als »Klangforscher auf einem Gebiet, das durch die Speicherkapazität des
Tonbandes erschlossen werden konnte: das Gebiet der Klangobjekte (objets
sonores).«81
81 Reinecke (1986, S. 112).
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Pierre Schaeffer selbst schreibt über die Musique concrète, daß das Revolutionäre
seiner Schule nicht die Entwicklung neuer Apparate und Klänge sondern die
Auseinandersetzung mit den komplexen Bereichen menschlicher Hörerfahrung
sei:
»L’élément le plus révolutionaire de la Musique concrète n’est pas d’avoir
révélé de nouveaux appareils, ni même de nouveaux sons, mais d’avoir révélé
à l’oreille musicale des possibilités potentielles, souvent évidentes, dont elle
n’avait pas pris conscience ni encore moins songé à se servir.«82
82 Schaeffer (1986, S. 113).
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