- 21 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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»Man wird die Musik nur in den Griff bekommen, wenn man auf zwei Wegen gleichzeitig vorgeht: dem der elementarsten Objekte, die sich als Bausteine der Strukturen erweisen, und dem der Strukturen selbst, die allein diese Objekte herauszuheben und ihnen einen Sinn zu geben vermögen.«78

78 Ebd. (S. 37) (Hervorhebungen im Original).

Diese Erkenntnisse führten Schaeffer zu einer Elementarlehre der musikalischen Objekte. Sie besteht aus fünf pädagogischen Regeln:

  1. Erste Regel:

    Die Betreibung einer neuen Gehörbildung durch systematisches Hören von Klangobjekten jeder Art. Das einzig Wichtige ist hier richtig hören lernen, wobei Anfangsgründe der akustischen und elektronischen Technik naturgemäß diese Lehrzeit erleichtern.

  2. Zweite Regel:

    Klangobjekte schaffen, das heißt, sich in der tatsächlichen Realisierung von Klängen üben, die so verschieden und ursprünglich wie nur möglich sein sollen, und zwar in bewußtem Gegensatz zum traditionellen Vorgehen, bei dem auf Notenpapier Symbole eingetragen werden, die gleichsam Konfigurationen abstrakter Zeichen darstellen.

  3. Dritte Regel:

    Musikalische Objekte bilden, das heißt, Apparate zur Klangmanipulation handhaben lernen (ohne sie mit Musikinstrumenten zu verwechseln): Magnetophone, Mikrophone, Filter usw.

  4. Vierte Regel:

    Von der Konzeption von Werken Studien anfertigen, den ›Schulübungen‹ der traditionellen Musik vergleichbar, die den Anfänger zwingen, unter der Verschiedenartigkeit der Ausführung seine Wahl zu treffen

  5. Fünfte Regel:

    Arbeit und Zeit – unerläßlich für jeden echten Aneignungsprozess.«79

    79 Ebd. (S. 30).

Welches Verhältnis zu seinem Handwerkszeug, den Apparaten seines Studios verbirgt sich hinter diesem Regelwerk? Der Techniker Schaeffer war auf der Suche nach einer grundlegenden systematischen Aufstellung allgemeingültiger Kriterien zur Klassifizierung von Klängen. Sophie Brunet schreibt über Schaeffer, er war ein »polytechnicien fourvoyé«80

80 Brunet (1986, S. 112).
, ein in die Irre geleiteter Ingenieur. Christoph Reineke charakterisiert ihn als »Klangforscher auf einem Gebiet, das durch die Speicherkapazität des Tonbandes erschlossen werden konnte: das Gebiet der Klangobjekte (objets sonores).«81
81 Reinecke (1986, S. 112).
Pierre Schaeffer selbst schreibt über die Musique concrète, daß das Revolutionäre seiner Schule nicht die Entwicklung neuer Apparate und Klänge sondern die Auseinandersetzung mit den komplexen Bereichen menschlicher Hörerfahrung sei:

»L’élément le plus révolutionaire de la Musique concrète n’est pas d’avoir révélé de nouveaux appareils, ni même de nouveaux sons, mais d’avoir révélé à l’oreille musicale des possibilités potentielles, souvent évidentes, dont elle n’avait pas pris conscience ni encore moins songé à se servir.«82

82 Schaeffer (1986, S. 113).


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