- 18 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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erweitert. Moholy-Nagy stellt dazu die folgenden medienreflexiven Überlegungen zum Gebrauch des Grammophons an.

»Ich schlug vor, aus dem Grammophon als aus einem Reproduktionsinstrument ein produktives zu schaffen, so dass auf der Platte ohne vorherige akustische Existenzen durch Einkratzen der dazu nötigen Ritzschriftreihen das akustische Phänomen selbst entsteht.«67

67 Moholy-Nagy (1988, S. 53).

Der Vorgang des Schreibens sollte auf einer großen Ritzschriftplatte erfolgen, die mit der Hand bequem zu bearbeiten wäre. Hergestellt werden sollte eine große Ritzschriftplatte unter Anwendung von Verfahren der Fotografie, wie etwa des Foto- oder Autotypie-Klischees auf zinkographisch galvanoplastischer Basis. Die Idee war, eine Grammophonplatte zu fotografieren, das Negativ zu vergrößern, eine klangmalerische Gestaltung mit dem Verfahren der Ritzschrift vorzunehmen und anschließend die Platte in ein grammophongerechtes Format zu verkleinern. Aus diesen technisch-erfinderischen Entwürfen folgt für die Musik in den Worten von Moholy-Nagy :

  1. Durch das Feststellen eines Ritzschrift-ABC ist das Generalinstrument geschaffen, das alle bisherigen Instrumente überflüssig macht.
  2. Die graphischen Zeichen ermöglichen die Aufstellung einer neuen graphisch mechanischen Tonleiter, das heisst das Entstehen einer neuen mechanischen Harmonie, indem man die einzelnen graphischen Zeichen untersucht und ihre Verhältnisse in ein Gesetz bringt. (Hier ist die heute noch utopisch klingende Erwägung zu nennen: graphische Darstellungen auf Grund strenger Verhältnis-Gesetzmässigkeiten in die Musik zu übertragen.)
  3. Der Komponist kann seine Komposition selbst schon auf der Platte reproduktionsbereit schaffen, also er ist nicht mehr angewiesen auf das absolute Können der Interpretierenden. Dieser hat bis jetzt meistens seine eigenen Seelenerlebnisse in die Noten aufgeschriebener Komposition hineinzuschmuggeln vermocht. Die neue Möglichkeit des Grammophons wird die heutige dilettantische Musikerziehung auf eine gesundere Basis stellen. Statt der vielen ›Reproduktionstalente‹, die mit der wirklichen Tongestaltung weder aktiv noch passiv etwas zu tun haben, werden die Menschen zu wirklich Musikaufnehmenden oder Gestaltenden erzogen.
  4. Die Einführung dieses Systems bei Musikaufführungen würde ebenfalls eine wesentliche Erleichterung geben: Unabhängigkeit von grossen Orchesterunternehmungen; ungeheure Verbreitung der schöpferischen Originale durch das einfache Mittel.«68
    68 Ebd.

Moholy-Nagy setzt die musikalischen Möglichkeiten seines Ritzschrift ABCs in ein kritisches Verhältnis zum Konzertbetrieb und der damit verbundenen Musikpraxis. Auf der Folie der traditionellen Musiktheorie entwirft er gleichzeitig intermediale (!) »Verhältnis-Gesetzmäßigkeiten« (Moholy-Nagy) zwischen Bild und Ton zugunsten einer übergreifenden, technisch inspirierten, »mechanischen Harmonie« (Moholy-Nagy). Er bewegt sich damit auf der Linie des modernistischen Denkens seiner


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