erweitert. Moholy-Nagy stellt dazu die
folgenden medienreflexiven Überlegungen zum Gebrauch des Grammophons
an.
»Ich schlug vor, aus dem Grammophon als aus einem Reproduktionsinstrument
ein produktives zu schaffen, so dass auf der Platte ohne vorherige akustische
Existenzen durch Einkratzen der dazu nötigen Ritzschriftreihen das akustische
Phänomen selbst entsteht.«67
67 Moholy-Nagy (1988, S. 53).
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Der Vorgang des Schreibens sollte auf einer großen Ritzschriftplatte erfolgen, die
mit
der Hand bequem zu bearbeiten wäre. Hergestellt werden sollte eine große
Ritzschriftplatte unter Anwendung von Verfahren der Fotografie, wie etwa des Foto-
oder Autotypie-Klischees auf zinkographisch galvanoplastischer Basis. Die Idee
war, eine Grammophonplatte zu fotografieren, das Negativ zu vergrößern, eine
klangmalerische Gestaltung mit dem Verfahren der Ritzschrift vorzunehmen und
anschließend die Platte in ein grammophongerechtes Format zu verkleinern. Aus diesen
technisch-erfinderischen Entwürfen folgt für die Musik in den Worten von Moholy-Nagy
:
- Durch das Feststellen eines Ritzschrift-ABC ist das Generalinstrument
geschaffen, das alle bisherigen Instrumente überflüssig macht.
- Die graphischen Zeichen ermöglichen die Aufstellung einer neuen
graphisch mechanischen Tonleiter, das heisst das Entstehen einer neuen
mechanischen Harmonie, indem man die einzelnen graphischen Zeichen
untersucht und ihre Verhältnisse in ein Gesetz bringt. (Hier ist die heute
noch utopisch klingende Erwägung zu nennen: graphische Darstellungen
auf Grund strenger Verhältnis-Gesetzmässigkeiten in die Musik zu
übertragen.)
- Der Komponist kann seine Komposition selbst schon auf der Platte
reproduktionsbereit schaffen, also er ist nicht mehr angewiesen auf
das absolute Können der Interpretierenden. Dieser hat bis jetzt
meistens seine eigenen Seelenerlebnisse in die Noten aufgeschriebener
Komposition hineinzuschmuggeln vermocht. Die neue Möglichkeit des
Grammophons wird die heutige dilettantische Musikerziehung auf eine
gesundere Basis stellen. Statt der vielen ›Reproduktionstalente‹, die
mit der wirklichen Tongestaltung weder aktiv noch passiv etwas zu
tun haben, werden die Menschen zu wirklich Musikaufnehmenden oder
Gestaltenden erzogen.
- Die Einführung dieses Systems bei Musikaufführungen würde ebenfalls
eine wesentliche Erleichterung geben: Unabhängigkeit von grossen Orchesterunternehmungen;
ungeheure Verbreitung der schöpferischen Originale durch das einfache
Mittel.«68
Moholy-Nagy setzt die musikalischen Möglichkeiten seines Ritzschrift ABCs in ein
kritisches Verhältnis zum Konzertbetrieb und der damit verbundenen Musikpraxis. Auf
der Folie der traditionellen Musiktheorie entwirft er gleichzeitig intermediale (!)
»Verhältnis-Gesetzmäßigkeiten« (Moholy-Nagy) zwischen Bild und Ton zugunsten einer
übergreifenden, technisch inspirierten, »mechanischen Harmonie« (Moholy-Nagy). Er
bewegt sich damit auf der Linie des modernistischen Denkens seiner
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