- 12 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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Die ›Originalaufnahme‹ ist hier ein Ergebnis des Tonbandschnitts; ein Stückwerk, das sich von dem ›realen‹ Konzertereignis in die Richtung der illusionären Natur zweiten Grades (Benjamin) entfernt hat. Das Endprodukt der technisch künstlerischen Bemühung ist nicht identisch mit dem Live-Konzert. Das »Werk« präsentiert sich in einer Gestalt, »die zwar seine Aufführung vor dem Schallplatten- und Tonbandkonsumenten simuliert, mit dieser aber in Wirklichkeit nichts zu tun hat.«34
34 Kaegi (1967, S. 22).
Die ontologische Vorstellung von der ›Realität‹ des Live-Konzerts verschwindet hinter den Spielarten des Realen einer künstlich wiederhergestellten Welt der Simulation35
35 Vgl. Baudrillard (1978, S. 19).
, die unmittelbar in die digitalen Welten des »als ob«36
36 Tholen (1997, S. 101).
der PC-Tonstudios und des ›Super Digital Transfers‹ (s.o.) von heute führt. Das analoge (und rituelle) Konzert wird dabei durch etwas vollständig anderes ersetzt, das mit dem ursprünglichen Ereignis nur noch seinen Namen teilt.

2.1.3.  Die Aura in/der (Re-)Produktionsmedien

In den Speichermedien totgestellt, dem »schäumenden Leben«37

37 Fischer (1986, S. 14).
entrissen, »in der Schrift erstummt«38
38 Fischer (1986, S. 15).
, können technische Reproduktionen aber auch als eindeutig referenzierbare Originale einer wie auch immer manipulierten Musik im Sinne von Ernst Krenek (s.o.) angesehen werden.39
39 »Erst im Zustand einer konkreten Materialität vermag Musik, da nunmehr unveränderbar und wiederholbar, Identität zu erlangen, in dem Sinne, daß die einer einzigartigen Aufführung immanenten musikalischen Charakteristika durch ihre Wiederholbarkeit konkretisiert und objektiviert zu werden vermögen.« Schläbitz (1997, S. 62).
Hier kann man nun fragen, ob sich Benjamins oben beschriebene politische Hoffnung tatsächlich erfüllt, und die Kultgegenstände der Kunst durch ihre (massenweise) Ausstellung entfetischisiert und entmythologisiert werden, die ungeliebte Aura also von den Reproduktionsmedien zu ihrem Ende geführt wird. Hat die Benjaminsche Aufklärung durch Vervielfältigungstechnologie tatsächlich stattgefunden oder konnte sich sein Aurakonzept in den »Welten der Medien«40
40 Schmidt (1996).
repositionieren? Die auratische Dimension der Geschichtlichkeit wird gemäß Benjamin durch ihre technische Reproduktion, außer Kraft gesetzt: »Sie fixiert [...] den Augenblick nicht mehr als unverrückbar.«41
41 Bickel (1992, S. 115).
Massenweise auftretendes Reproduktionsgut verwandelt außerdem Ferne durch ständige Verfügbarkeit in Nähe – das Ende der Aura scheint damit besiegelt.

Der amerikanische Musiktheoretiker Andrew Goodwin schreibt, anders als Benjamin, über die heutigen Reproduktionsformen der digitalen Medien, speziell zu den Verfahren des Samplings in der Popmusik, daß diese noch den alten Gesetzen der romantischen Ästhetik gehorchen, da die beiden Instanzen der klassischen Moderne – Autor und Aura – das postmoderne Plündern und Zitieren überlebt hätten. Goodwin geht davon aus, daß mit den digitalen Technologien jede angefertigte Kopie mit ihrer Vorlage, dem »Original«, identisch ist, und Aura damit zum


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