- 11 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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Dennoch läßt sich im Sinne des musikalischen Kommunikationsmodells von Abraham Moles29
29 Moles (1971, S. 19).
, in dem Reproduktionsmedien als Mittler, als »künstlich-technischer Kanal« zwischen »Schallquelle« und »Hörer« fungieren, von relativ intakten Verhältnissen sprechen. Adorno schreibt folgerichtig – und dem eigenwilligem Sound der frühen Reproduktionsmedien zum Trotz – zum Grammophon und seinen Schellackplatten: »gute Platten wollen vor allem ähnlich sein.«30
30 Adorno (1984, S. 528).
Die begrenzte Spieldauer, der hohe Rauschanteil und der unregelmäßige Frequenzgang der mechanischen Reproduktionsmedien zu jener Zeit haben die damalige Musikpraxis verändert. Kompositionen wurden eigens für die Aufnahmebedingungen umgeschrieben, neuartige Instrumente wie die Stroh-Violine wurden gebaut und es entstanden regelrechte Schallplattenorchester, die, wie z.B. das »Odeon-Orchester«31
31 Vgl. Elste (1989, S. 108).
, den Namen ihres Plattenlabels trugen.

»Die Instrumente wurden terassenförmig um einen Schalltrichter gruppiert. Die natürliche akustische Perspektive eines Orchesters war damit nicht zu erhalten. Das wichtigste war, die Melodiestimmen nahe an den Trichter heranzubekommen, damit genügend Lautstärke zur Aussteuerung des Schneidestichels vorhanden war. Der Klang war dadurch flach und entbehrte jeden Raumeindrucks. [...] Namhafte Instrumentalsolisten wagten sich deswegen nur zögernd an den Schalltrichter heran. Um 1910 begann man mit Orchesteraufnahmen zu experimentieren. Bruno Seidler Winkler probierte die richtige Aufstellung der Instrumente aus, er arrangierte Stücke so um, daß sie auf der Platte die rechte Wirkung bekamen. Die Kontrabässe wurden durch Tuben ersetzt, die Violoncelli durch Fagotte, die Violinen durch sogenannte ›Stroh-Violinen‹, eine Erfindung, die anstelle des Resonanzkörpers einen Schalltrichter verwendete. So produzierte er Ouvertüren, Teile aus Opern und Symphonien. Außerdem mußte natürlich gekürzt werden, da die Laufdauer der Platte 4 Minuten nicht überschritt.«32

32 Jungk (1971, S. 22, 26).

Die Musikaufführung und ihre technische Reproduktion als zumindest glaubwürdiges Abbild, sollte ca. Mitte der sechziger Jahre mit den technischen Erweiterungen der medialen Handlungsoptionen von einer Praxis abgelöst werden, die Bernhard Rzehulka als »produktive Distanz« bezeichnet. Rzehulka beschreibt die Produktion eines Live-Mitschnitts wie folgt:

»Wenn heute, und das bezieht sich ungefähr auf die letzten 20 Jahre, ein ›Live-Mitschnitt‹ von etablierten Firmen auf den Markt kommt, haben wir es mit etwas grundsätzlich Anderem zu tun. Das läßt sich bereits empirisch von jenem Publikum feststellen, das ein bestimmtes Konzert besucht hat, dessen Aufnahme Monate später als offizielle Produktion erworben werden kann. Vergeblich werden die damaligen Zuhörer auf die individuellen Merkmale dieser Aufführung warten, auf einen Hornknickser etwa, einen Hustenanfall in der 4. Reihe, oder auf einen Konzentrationsfehler des Solisten. Das, was von der Plattenfirma als ›Lebendiges‹ angepriesen wird, ist in Wahrheit ein Surrogat, ein Zusammenschnitt mehrerer Aufnahmen, wobei meist die Proben als Fundus des Tonmaterials hinzukommen.«33

33 Rzehulka (1986, S. 108).


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