- 100 -Klages, Thorsten: Medium und Form - Musik in den (Re- )Produktionsmedien 
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die sie unbeabsichtigt begründeten, beseitigt waren. Erst aus der historisierenden Perspektive von HiFi-Elektronik und digitalen Aufnahmesystemen konnte eine unzulängliche Wiedergabe auch vom Mainstream als ästhetisch wertvoll empfunden werden. Die in Kapitel 4.2 dokumentierte Repositionierung der Aufzeichnungstechnologie als Medium, z.B. mit dem weit verbreiteten Plug-In Grungelizer für Cubase VST, gibt Auskunft über die Popularität von Störgeräuschen. Der absichtsvolle Einsatz von Schallplattenknistern und -knacken findet sich, den verwendeten, ›cleanen‹ digitalen (Re-)Produktionsmedien zum Trotz, als medialer Auraschleier zuerst bei den DJs der New School of HipHop.

»Ein [...] Punkt ist der Status der Breaks und Breakbeats, die als geloopte Samples das rhythmische Rückgrat der New School of HipHop ausmachten. Ihre Sekundarität war nicht der Makel, sondern Vorteil. Wenn man einen Break von einer zerkratzten Platte heruntergesampelt hatte, versuchte man nicht, die Kratzer wegzufiltern, sondern – im Gegenteil – man stellte sie als patinaartige Zeichen von legitimer ›Anciennität‹ (wie es bei Bourdieu immer heißt) in den Vordergrund.«13

13 Diedrichsen (1996, S. 56).

Aktuelle Produktionen reiner Medienmusk, wie zum Beispiel die der englischen Band Portishead, spielen mit medialer Differenz:

»alles [...] wurde auf Tape aufgenommen, in den Sampler gesteckt, und im Sampler wurde das grobe Songformat entwickelt. Das Ergebnis schickten wir dann an Beth, und sie machte dazu die Melodien und die Vocals. Die Original-Samples ließen wir in Vinyl pressen. Dann kam Geoff wieder rein, arbeitete mit diesen Platten, und was dabei herauskam, wurde nochmal gesampelt und schließlich in den Song eingefügt.«14

14 McDonald (1997, S. 39).

Dieser Ästhetisierung steht ein Gebrauch medienreflexiver Formen als Gesellschaftskritik gegenüber, mit der Absicht, den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzuspielen.15

15 »Wenn ›Kontrolle‹ oder negative Rückkopplung, wie die Ingenieure sagen, Schlüssel zur Macht in diesem Jahrhundert ist, dann läuft das Abfangen von Macht auf positive Rückkopplung hinaus. Endlosschleifen schalten, bis UKW oder Stereo, Tonband oder Scrambler, all diese Weltkriegs- und Heeresgeräte, wilde Schwingungen [...] erzeugen. Den Verhältnissen die eigene Melodie vorspielen.« Kittler (1986, S. 169).
Industrielle Standards haben aus machtpolitischen oder wirtschaftlichen Interessen den technischen Medien ihre Gebrauchsnormen übergestülpt, die in der alltäglichen Nutzung zu ihrer zweiten Natur geworden sind. Die Negation der Gebrauchsvorschriften werden im Bereich der Popmusik nicht nur als ästhetisches Programm, sondern auch als politische Handlung verstanden, etwa in der Industrial Music bei Throbbing Gristle oder den Anti-Records von Boyd Rice (NON). Rice bricht bewußt die Regeln eines konventionellen Schallplattenkonsums.16
16 Vgl. Akita (1995).
Seine Platten soll man, sofern es der heimische Plattenspieler erlaubt, in allen möglichen Abspielgeschwindigkeiten hören. Mit dem Konzept der sich überlappenden Schleifen (»Overlapping Loop Groups«) auf der Single Pagan Muzak lassen sich darüber hinaus unendlich viele verschiedene Versionen der Platte erzeugen. Rice bohrte (gegen den Willen seiner Plattenfirma) zu diesem Zweck zusätzliche Führungslöcher

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