- 98 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Analyse der musikalischen Mittel allein nicht mit letzter Sicherheit getroffen werden kann.5
5 Die Erfüllung bestimmter Kriterien für Walzer – etwa der 3/4-Takt, typische Begleitmuster oder bestimmte charakteristische melodische Merkmale – ist weder hinreichende noch notwendige Bedingung. So bleibt beispielsweise offen, ob nicht auch eine Struktur im Sechsviertel- oder Sechsachteltakt als Walzer aufgefaßt werden kann; umgekehrt ist nicht alles, was die klassische Walzerbegleitung aufweist, automatisch dieser Gattung zuzuschlagen.


Daß die Analyse nicht die letzte Instanz sein kann, gilt auch für eine weitere zentrale und übergeordnete Entscheidung des Interpreten: die Frage, ob er die Ballade als Schilderung einer wie auch immer im einzelnen vorgestellten außermusikalischen Begebenheit, als Programmusik, begreift oder als rein innermusikalisch sinnfälligen Vorgang, als absolute Musik, auffaßt; auch hier ist Analyse nur von begrenztem Wert, da musikalische Hermeneutik sich an nahezu jeden musikalischen Verlauf mit einer gewissen Sinnfälligkeit anzuschmiegen vermag.6

6 Analoges gilt auch für den umgekehrten Fall: Programmusik kann sich durchaus auch ohne Programm als musikalisch sinnfällig erweisen. Schönberg reklamiert dies explizit für sein Opus 4: „[Die] Verklärte Nacht [...] ist Programmusik, die das Gedicht von Dehmel schildert [...]. Es scheint, daß meine Komposition Qualitäten [...] hat, die auch befriedigen, wenn man nicht weiß, was sie schildert, oder, mit anderen Worten, sie bietet die Möglichkeit, als 'reine' Musik geschätzt zu werden.“ (Programm-Anmerkungen zu ´Verklärte Nacht´, wiederabgedruckt in: Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hg. von Ivan Vojtich [= Gesammelte Schriften; Bd. 1], Frankfurt a. M.: S. Fischer 1976, S. 453.)

Wohl aber ist, wenn aufgrund allgemeiner ästhetischer Vorstellungen, gewissermaßen unabhängig vom konkret vorliegenden Werk und seinen Analysebefunden, die Wahl für die eine oder andere Option getroffen wurde, die konkrete klangliche Einzelgestalt davon betroffen, sowohl global – wie etwa in prinzipiell unterschiedlichem Ausmaß der agogischen Variation der Grundtempi oder des gebundenen Rubato – als auch im Hinblick auf eine einzelne kurze Klanggestalt, ja letztlich möglicherweise auf einen einzelnen Ton und seine dynamische Gestaltung bezogen.


Daß schließlich auf der Ebene von Detailanalysen, die motivische Beziehungen zu ihrem Gegenstand haben, Begründungen für die konkrete Gestaltung eines Klangverlaufs gefunden werden können, läßt sich wohl kaum bezweifeln, wenn sich auch hinsichtlich der zu verwendenden Darstellungsmittel eine gewisse Variationsbreite ergeben mag. Ein Beispiel für den Einfluß der Analyse auf die unmittelbare Spielweise ist etwa in der G-Moll-Ballade der Abschnitt Takt 21 ff., der das sog. „Erste Thema“ bzw. – bei Anwendung des Formkonzeptes der Sonatenhauptsatzform7

7 Bei aller Fragwürdigkeit der Anwendung der Sonatenterminologie auf die Ballade wird hier die Bezeichnung Haupt- bzw. Seitenthema der sprachlichen Einfachheit halber – und zwar in der Regel ohne Anführungszeichen – beibehalten.

– das „Hauptthema“ fortführt: Verschiedentlich schon wurde auf den Zusammenhang der entsprechenden Takte hingewiesen8
8 Z. B. Krystyna Wilkowska, Srodki wyrazu emocjonalnego w Balladach Chopina, in: Kwartalnik Muzyczny, 7. Jg. (1949), H. 26/27 (Apr./Sept.), S. 173 oder Anna Bogdanska, Technika wariacyna i praca temtatyczna w balladach Chopina, in: Rocznik Chopinowski 18 (1986), S. 73.

, wobei eine Detailbetrachtung

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