spielerisch anlegen. Mit dem Ziel größtmöglicher
organischer Bewegungsabläufe, die der Betreffende mühelos,
fast instinktiv einzusetzen vermag, sind alle Dirigierfiguren in
allen denkbaren Variationen ihrer Parameter (Tempo, Agogik, Dynamik,
Artikulation, Ästhetik) während der Ausbildungszeit
kontinuierlich ohne Notenvorlage, eher mit Spiegel- oder
Videokontrolle im Bereich der musikalischen Improvisation zu üben.
Wichtig ist hier das Gespräch: die Selbsteinschätzung, das
Körpergefühl des Dirigierenden divergieren häufig vom
Erkennen der aufmerksam beobachtenden Gruppe („noch größere
Bewegungen?“ – „Ich gebe doch einen Impuls!“
– „Du hast dir selber einen Auftakt gegeben!“
etc.). Nicht selten erfährt der Studierende bereits an diesem
Punkt eine Spiegelung seiner persönlichen Ausstrahlung, seines
plastischen Darstellungstalentes und eine vorsichtige, noch etwas
verdeckte Charakterisierung seiner Typologie. Oft macht sich dadurch
Unbehagen breit, weshalb das Dirigieren, dem Singen vergleichbar,
zuweilen als unfreiwillige Veröffentlichung des Innersten
empfunden und gefürchtet wird. Das Rollenspiel, der Habitus des
alltäglichen Auftretens ist in diesen Formen der persönlichen
(Ent)-Äußerung meist eben nicht durchzuhalten. Hier ist
der Lehrende besonders gefordert: Zum einen gilt es, der Gruppe das
Gefühl des gemeinsamen Internen zu geben, um das Mit- und
Aneinander-Arbeiten zu fördern, zum anderen bestimmt der Umgang
mit der persönlichen Polarität jedes einzelnen den
individuellen Ausbildungsfortschritt, der zwischen Distanz zur
eigenen Gestik, um die Korrekturfähigeit zu schulen, und einer
Verinnerlichung optimaler (= bestmöglicher) Bewegungsabläufe
pendeln muß.
3. Die Gruppensituation – „du dirigierst“
Das Tun des Dirigenten macht in all seinen Stationen nur Sinn mit Blick auf eine genau definierbare Zielgruppe. Der Generalmusikdirektor kennt die Besonderheiten seines Berufsorchesters, der Schulmusiker seine Schülerkapazitäten, der Laienorchesterdirigent seine oft jahrzehntelang mitwirkenden Instrumentalisten. Der Ensembleleiter ist Entscheidungsträger der jeweiligen Gruppe, für das Ergebnis ihrer Arbeit künstlerisch und oft auch organisatorisch verantwortlich. So ist er im Kreise seiner Instrumentalisten, die zudem ganz eigene Erwartungen haben, mit seiner Befindlichkeit auf sich gestellt. Die Ausbildungsphase bietet die einzigartige Konstellation, daß die Instrumentalisten ihrerseits die Ensembleleitung zu erlernen streben, also das Gegenüber am Dirigentenpult mit aufmerksameren, oft kritischeren, manchmal wohlwollenderen Augen sehen als die später zu Unterweisenden dies tun. |