- 33 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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entgegenkamen, deutlich stärkere Förderung und Unterstützung als man sie Emigranten in Westdeutschland zukommen ließ. So blieb sein Werk auch im Deutschland der Nachkriegszeit vierzig Jahre lang völlig ohne Erwähnung. Berthold Goldschmidt starb am 17. Oktober 1996 hochbetagt in London.


Viktor Ullmann wurde 1898 in Österreich geboren. Seine jüdischen Eltern waren bereits vor seiner Geburt zum Katholizismus übergetreten. Nach seinem Kriegsabitur 1916 nahm er als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Unterricht in Komposition erhielt er bei u.a. bei Arnold Schönberg, Alois Hába und Eduard Steuermann. Ab 1920 betätigte er sich als Korrepetitor- und Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag, ab 1929 in Zürich. Auch mit eigenen Werken war er hervorgetreten, u. a. auf dem Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Genf 1929. Seit etwa 1930 stand er der Anthroposophie nahe und leitete ab 1931 einen anthroposophischen Buchladen in Stuttgart. Sowohl seiner Weltanschauung als auch seiner ethnischen Herkunft wegen verließ er 1933 Deutschland und ging wieder nach Prag, wo er seine kompositorischen Tätigkeit intensiv fortführte. Hier komponierte er u. a. die anthroposophische Oper Der Sturz des Antichrist. 1942 wurde Ullmann ins KZ Theresienstadt deportiert. In diesem Vorzeige-Lager entwickelte er vielfältige musikalische Aktivitäten als Organisator von Musikveranstaltungen – u. a. einem Studio für Neue Musik –, als Musikkritiker und als Komponist. Er schuf Chorwerke, Lieder, 3 Klaviersonaten, Kammermusik und die Oper Der Kaiser von Atlantis. Mit den Proben zu dieser Oper wurde in Theresienstadt im Sommer 1944 begonnen, es kam jedoch nicht mehr zu einer Aufführung. Am 16. Oktober 1944 überführte man Ullmann nach Auschwitz, wo er mit großer Wahrscheinlichkeit zwei Tage später umgebracht wurde. Von den etwa 50 Werken der Zeit vor der Deportierung haben sich 18 erhalten, während seine 23 Theresienstädter Kompositionen vollständig überliefert sind.9

9 Milan Kuna, Musik an der Grenze des Lebens, Frankfurt a. M. 1993, S. 311–334; Viktor Ullmann, Materialien, hg. von Hans-Günter Klein, Hamburg 1992.


Auch die musikalische Rehabilitierung dieses Komponisten ließ lange auf sich warten. Die Oper Der Kaiser von Atlantis wurde 1975 in Amsterdam uraufgeführt, seine anderen Prager und Theresienstädter Kompositionen gelangten jedoch erst in den späten achtziger und den neunziger Jahren an die Öffentlichkeit, die oben erwähnte Oper Der Sturz des Antichrist 1995 in Bielefeld. In dem 1979 erschienen Brockhaus-Riemann-Musiklexikon findet sich der Komponist Viktor Ullmann nicht erwähnt. In dem 1961 erschienen Riemann Musik-Lexikon dagegen ist ihm ein Artikel gewidmet. Allein, und das ist ein Skandal größter Ordnung, es fehlt das Todesdatum. Der Leser mußte annehmen, Ullmann sei 1961 noch am Leben gewesen. Deutlicher kann sich die Blindheit der Nachkriegs-Musikwissenschaft nicht manifestieren.



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