- 32 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Goldschmidt britischer Staatsbürger. Zu Beginn der fünfziger Jahre komponierte er eine weitere Oper, ein Cellokonzert und ein Violinkonzert. Als er feststellen mußte, daß sich kaum Chancen für die Aufführung seiner Werke einstellten, gab er das Komponieren auf und beschränkte sich ganz auf die Dirigententätigkeit. Aus der Rückschau benennt er die Gründe für das Desinteresse an seiner Musik:


Eine Rolle spielte dann vor allem auch die Tatsache, daß so viele neue Tendenzen zutage traten: elektronische Musik, aleatorische Musik, eine absolute Monopolstellung der Zwölftonkomponisten, die durch die Tatsache, daß die Rundfunksender der Welt beinahe alle in den Händen von Anhängern der Zwölftonmusik waren, einen benevolenten, aber immerhin artistischen Terror ausübten. Vor der Nazizeit war ich, wenn man so sagen darf, einer der jungen aufsteigenden Komponisten, mit der Uraufführung einer Oper am Nationaltheater in Mannheim, an einer ziemlich prominenten Stelle also. Das war 1932. Danach war mein Name in Deutschland ausradiert. Eine solche Lücke läßt sich nicht so leicht überbrücken. Da muß man Leute, Dirigenten und Künstler, haben, die einen persönlich kennen, die das Werk kennen und die sich dafür einsetzen wollen. Und wie man weiß, ist es immer riskant, in Konzertprogrammen ein Werk von unbekannten Komponisten aufzuführen. Hinzu kommt, daß eine ganze Generation – oder vielleicht sogar zwei Generationen – neuer Komponisten auf der Bildfläche erschienen sind, die natürlich auch berücksichtigt werden wollten. Und berücksichtigt werden mußten.8

8 A. a. O. (s. Anm. 7), S. 78.


Goldschmidt weist hier auf die sehr doktrinäre Haltung der musikalischen Avantgarde zwischen dem Kriegsende und etwa 1980 hin, wo neben der favorisierten seriellen Musik weitgehend nur aleatorische und elektronische Kompositionen sich Gehör verschaffen konnten, wogegen andere Wege musikalische Fortschritts hintangesetzt wurden. Das betraf neben den Rundfunkanstalten auch die großen Festivals für Neue Musik etwa in Darmstadt und Donaueschingen.


Seit dem Ende dieser Vorherrschaft gibt es eine Goldschmidt-Renaissance auf zweierlei Weise: Zum einen, und das ist die bedeutendere Tatsache, hat der greise Meister nach 25 Jahren des Schweigens wieder zu komponieren angefangen. Es entstanden vor allem Werke für Kammermusik, so ein Klarinettenquartett, ein Klaviertrio, ein Streichtrio und zwei Streichquartette. Zum anderen werden seine früheren Werke wieder aufgeführt und eingespielt. So erschien die Oper Der gewaltige Hahnrei nach ihrer Uraufführung 1932 erstmals wieder im Herbst 1994 auf der Bühne. Die Komische Oper Berlin brachte das Werk in der Inszenierung Harry Kupfers heraus.

Goldschmidt erlebte erst in den letzten Jahren seines Lebens den Erfolg als Komponist, den er ohne die braune Barbarei schon in den dreißiger und vierziger Jahren hätte erwarten können. Die Nachkriegsgeneration in Deutschland interessierte sich kaum für die emigrierten Komponisten, wobei allerdings auf einen Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland hingewiesen werden muß. In der DDR erfuhren Exilkomponisten, sofern sie der neuen sozialistischen Ideologie


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