- 30 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Eine Wandlung der zunächst pro-nationalsozialistischen Haltung Distlers erfolgte nach derzeitigen Erkenntnissen zwischen Ende 1934 und 1936. Der zunehmende Druck der Nazis auf die Evangelische Kirche und die Ablehnung von Kirchenmusik – derjenigen Musik, die Distler am Herzen lag – gaben den Ausschlag für diesen Wandel. Später lehnte der Bärenreiter-Verlag den Druck einer von ihm geplanten Johannes-Passion aus besagten Gründen ab. Mit seinem ersten größeren Orchesterwerk, dem Cembalokonzert op. 14, erntet er sowohl Zustimmung als auch heftigste Ablehnung bis hin zu Etikettierungen wie „kulturbolschewistisch“ und „entartet“. Die Zielstrebigkeit, mit der er Anfang der dreißiger Jahre eine Fülle von geistlichen Chorwerken produziert, verwandelt sich in Orientierungslosigkeit. Nachdem für geistliche Musik keine Nachfrage mehr besteht, versucht er es mit braun angehauchter weltlicher Chormusik, dem Neuen Chorliederbuch op. 16, das Bauernregeln und ähnliches enthält. Später setzt er dann auf ideologiefreie Texte mit seinem Mörike-Chorliederbuch. Viele Großprojekte, darunter ein Oratorium Die Weltalter und eine Oper über Veit Stoß, bleiben Fragment.


Distler nahm sich am 1. November 1942 das Leben. Als Gründe dafür lassen sich neben dieser zerbrochenen Lebensperspektive seine ohnehin vorhandene psychische Labilität benennen, außerdem die Verzweiflung über das Kriegsgeschehen, vor allem die Zerstörung der Stadt Lübeck, die er im September 1942 noch besucht hatte, die steigende Zahl toter Freunde und die Angst vor der bevorstehenden Einberufung zum Krieg, die immer nur wieder in letzter Minute abgebogen werden kann, schließlich wohl auch eine wachsende Distanz zur Familie.6

6 Ursula Herrmann, Hugo Distler, Rufer und Mahner, Berlin 1972; Stefan Hanheide (Hg.), Hugo Distler im Dritten Reich, Osnabrück 1997.


Der Bärenreiter-Verlag hatte in den dreißiger und vierziger Jahren fast alle Kompositionen Distlers – vorrangig für Chor – herausgebracht. Seine Popularität in dieser Zeit sollte jedoch nicht überschätzt werden. Die Erwähnungen seiner Person in den namhaften Musikzeitschriften sind eher gering. Nach dem Krieg nahm seine Popularität deutlich zu, weil seine in Druck vorliegenden Werke bestehende musikalische Bedürfnisse befriedigten: Sowohl die Singbewegung, die sich von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis in die fünfziger Jahre fortentwickelt hatte, als auch die Evangelischen Kirchenchöre verlangten nach zeitgenössischer und sangbarer Musik für Chor a cappella, die politisch unbelastet war. Hier griff man auf Distlers Werke zurück, wodurch seine Name in der Musikszene nach dem Kriege und bis heute zu einer festen Größe wurde.


Der 1903 in Hamburg geborene Berthold Goldschmidt stammte aus einer musikliebenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Er ging 1922 an die Musikhochschule in Berlin und studierte dort Komposition und Dirigieren. 1925 erhielt er den Mendelssohn-Preis für seine Passacaglia für Orchester, die 1926 von Erich Kleiber


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