- 29 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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eine Emigration, die er bevorzugt hätte, ermöglichen zu können. Hartmann überlebt auf diese Weise die Diktatur in München, zuletzt am Starnberger See. Drohenden Einberufungen zur Wehrmacht entgeht er durch Vortäuschung eines Herzleidens – Gutachten befreundeter Ärzte und eigene Simulation helfen ihm bei diesem äußerst riskanten Unterfangen. Gleich nach dem Krieg wird er von der amerikanischen Besatzung herangezogen, am Aufbau eines neuen Kulturlebens in der Stadt mitzuwirken. Er gründet die „musica viva“, eine Konzertreihe für Neue Musik, die neben den Festivals in Darmstadt und Donaueschingen zum wichtigsten Forum für die musikalische Avantgarde im Nachkriegsdeutschland heranwächst. Er komponiert eine Serie von acht Symphonien, die häufig aus Umarbeitungen älterer Werke bestehen, und wird im Schott-Verlag verlegt. Seine kompositorische Haltung ist auch fortan maßgeblich von der Idee der Humanität geprägt. Als Förderer der Neuen Musik und als Komponist genießt er europaweit hohes Ansehen. 1963 stirbt er allzufrüh an Krebs.4

4 Karl Amadeus Hartmann, Kleine Schriften, Mainz 1965; Andrew D. McCredie, Karl Amadeus Hartmann. Sein Leben und Werk, Wilhelmshaven 1980.


Die Kindheit von Hugo Distler ist ganz anders verlaufen. Er wächst in unsicheren Verhältnissen, zumeist bei seinen Großeltern auf, da sowohl Vater als auch Mutter ihn früh verlassen. So ist es zu erklären, daß sowohl seine musikalischen Lehrer in Leipzig als auch seine kirchlichen Mitarbeiter in Lübeck für ihn eine Art Vaterrolle übernehmen. Am Leipziger Konservatorium ist das vor allem Hermann Grabner und Günther Ramin, in Lübeck Pastor Kühl und der Leiter des Singkreises der Jakobi-Kirche, Bruno Grusnick. So tritt Distler gleichzeitig mit Kühl und Grusnick zum 1. Mai 1933 in die NSDAP ein, weil sie der gesellschaftlichen Erneuerung, die das Regime verspricht, positiv gegenüberstehen und weil sich vor allem Distler durch sein Ja zum neuen Staat Förderung als junger Musiker verspricht. Distler vertont 1934 zwei Texte mit nationalsozialistischem Aussagewert: die Kantate Ewiges Deutschland, die am Lübecker Stadttheater aufgeführt wird, und das Lied Deutschland und Deutsch-Österreich für ein Liederbuch der Partei. Distler gibt das Lied5

5 Kleine Bärenreiter-Ausgabe 769.

, nicht aber die Kantate bei seinem Verleger, dem Bärenreiter-Verlag, in Druck; große Teile der Kantate sind verloren. Auch einige Artikel Distlers aus dieser Zeit arbeiten in diffuser Diktion mit Schlagbegriffen der Ideologie. Die folgenden Jahre sind geprägt vom Kirchenkampf, von der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche um die zukünftige Ausrichtung des evangelischen Glaubens. Die Gruppierung der Deutschen Christen vertritt eine Unterordnung der Kirche unter die staatliche Blut-und-Boden-Ideologie, wogegen die Bekennende Kirche an der Tradition christlichen Glaubens und dessen Autonomie gegenüber dem Staat festhalten will. In dieser Auseinandersetzung bildet Lübeck ein Zentrum unter anderem mit dem Pastor der Jakobikirche, Kühl.



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