- 28 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Die hier zur näheren Betrachtung herangezogenen vier Komponisten der jungen Generation bilden aus verschiedenen Blickrichtungen heraus jeweils Paare unter sich: Es sind zwei Nicht-Juden – Hartmann und Distler – und zwei Juden – Goldschmidt und Ullmann –; zwei Überlebende des Dritten Reiches – Hartmann und Goldschmidt – und zwei zu Tode gekommene – Distler und Ullmann –; drittens zwei in Deutschland verbliebene – Distler und Ullmann – und zwei Emigranten – Goldschmidt und Hartmann –, wiewohl Hartmanns Emigration eine innere ist.

Karl Amadeus Hartmann wurde 1905 in München in einer Familie von bildenden Künstlern geboren, die gleichzeitig dem Sozialismus nahestand. Hartmann jedoch entschied sich zur Laufbahn des Musikers und trat gegen Ende der Weimarer Republik mit einigen für diese Zeit typischen grell-avantgardistischen Werken hervor, so einer Burlesken Musik für Kammeremsemble, einer Jazz-Toccata und Fuge sowie mit der Kammeroper Das Wachsfigurenkabinett. Das Jahr 1933 mit seinen politischen Veränderungen bringt den vollständigen Wandel seiner kompositorischen Ausrichtung. Sofort stellt Hartmann sein Schaffen ganz in den Dienst der vom Regime diskriminierten Menschen. Schon 1933/34 entsteht ein Orchesterwerk mit dem Titel Miserae, das den Opfern des gerade erst eingerichteten Konzentrationslagers Dachau mit folgendem Wortlaut gewidmet ist: „Meinen Freunden, die hundertfach sterben mußten, die für die Ewigkeit schlafen, wir vergessen Euch nicht (Dachau 1933/34)“. Es ist wohl das erste Werk, das auf die Gewalttaten der Nazis kompositorisch reagiert. Diese symphonische Dichtung wird 1935 beim Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik uraufgeführt und erfährt große Anerkennung – bis heute wartet das Werk auf seine erste Einspielung auf Tonträgern. Nicht nur die Ausrichtung, sondern auch der Ton seiner Musik unterliegt von diesem Werk an einer vollständigen Wandlung. Er ist ganz geprägt vom Ausdruck der Trauer und der Melancholie; der langsame Satz tritt ins Zentrum des kompositorischen Geschehens. Schon die Titel seiner Werke machen dies deutlich: Sie lauten etwa Sinfonia tragica, Klagegesang, Concerto funebre, Lamento, Friede Anno 48. Und auch vom Titel her neutrale Werke wie das erste Streichquartett aus dem Jahre 1933 sind ganz von diesem melancholischen Grundton erfüllt. Mit diesem kompositorischen Wandel einher geht ein biographischer. Hatte Hartmann in den Jahren um 1930 einige seiner Werke in Deutschland, vor allem in München zur Aufführung bringen können, so entschließt er sich 1933, keine seiner Werke mehr im nationalsozialistischen Deutschland erklingen zu lassen, um damit seine vollständige Ablehnung des neuen Regimes zum Ausdruck zu bringen. Diese Entscheidung hat einschneidende Folgen: er nimmt damit einen Bruch der gerade erst begonnen Karriere in Kauf, ohne einen Neuanfang absehen zu können. Aufführungen im Ausland, die wohl noch möglich sind, lassen sich für einen noch wenig bekannten Komponisten nur schwierig erwirken. Er komponiert also weitgehend für die Schublade und lebt – ohne eigene Anstellung – von einer kleinen finanziellen Stütze seitens der Eltern seiner Frau. Diese finanzielle Unterstützung reicht aber nicht aus, um


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