- 16 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Schlager in Deutschland von den dreißiger Jahren bis Kriegsbeginn


Reichspropagandaminister Josef Goebbels hatte schon in den Anfangsjahren nationalsozialistischer Herrschaft die Bedeutung des Films und der Filmmusik als Mittel zur Steuerung von Gefühlen erkannt und genutzt. Der träumerisch ins Weite gerichtete Blick der Zarah Leander, ihre ständige Bereitschaft zum Verzicht, ihr trotziges Aufbegehren gegen das Schicksal ließen sich ausgezeichnet vermarkten und für die politischen Ziele der Nationalsozialisten gewinnbringend einsetzen. Die mit ihren Rollen verbundenen Schlager erfaßten größere und andere Hörerkreise als stramme Kampflieder vom Schlage Wir fahren gegen Engeland, Panzer rollen in Afrika vor oder Vorwärts nach Osten, alle übrigens von Norbert Schultze, dem Komponisten des international bekannt gewordenen Soldatenliedes Lili Marleen. Diese scheinbar unpolitische Art der Unterhaltung erschien Goebbels ebenso wichtig wie die direkte ideologische Beeinflussung. Schon 1933 äußerte er sich in diesem Sinne vor dem von ihm einberufenen Kongreß deutscher Filmschaffender: „Selbstverständlich können wir nicht von früh bis spät in Gesinnung machen! Eine gewissen Bewegungsfreiheit muß herrschen.“18

18 Pacher, a. a. O. (s. Anm. 7), S. 184.

Diese – allerdings höchst begrenzte und kalkulierte – Liberalität sollte auch im Ausland wahrgenommen werden. „Importierte“ Stars waren deshalb unter bestimmten Voraussetzungen im deutschen Musikleben hochwillkommen, allen voran die Schwedin Zarah Leander, die als vergötterte Diva den Vorstellungen entgegenwirken konnte, die Deutschen würden sich gegen das freiheitliche Europa abgrenzen. Die Beziehung zu Schweden war den Nationalsozialisten wegen der „arisch-germanischen“ Blutsverwandtschaft ohnehin angenehm. Sie legten aber auch Wert darauf, daß andere ausländische Stars, wie die gebürtige Ungarin Marika Rökk und der aus Holland stammende Johannes Heesters auf deutschen Bühnen erschienen oder daß Benjamino Gigli für das Winterhilfswerk sang und der ungarische Geiger und Orchesterleiter Barnabas von Gézy sowie die chilenische Schlagersängerin Rosita Serrano bei den Wunschkonzerten der deutschen Wehrmacht im Großdeutschen Rundfunk auftraten. Mit der Förderung ausländischer Künstler ließ sich internationales Renommee erwerben und der Eindruck erwecken, zur Völkerverständigung beizutragen.19
19 Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M. 1982 (= Fischer tb 6901), S. 379.


Diese scheinbare Vorurteilslosigkeit und Internationalität deckte einen Schleier über die zunehmende Konzentration disziplinierender Maßnahmen im deutschen Kulturbetrieb. Filme z. B. wurden zensiert; seit 1936 mußten Partitur und Filmtexte dem Reichspropagandaministerium zehn Tage vor Drehbeginn vorgelegt werden.20

20 Pacher, a. a. O. (s. Anm. 7), S. 188.

Hingenommen wurde, daß jüdische Musiker plötzlich von der Bildfläche verschwanden und daß – wie Karl Blessinger es mit gebotener Deutlichkeit formulierte – ihre personelle Ausschaltung für den deutschen Musikbetrieb öffentlich

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