- 156 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Wüst und doch noch ganz leer ... und vollständig jenseits aller festgefügten, wohlvertrauten Formen. Diese Einleitung hat keine Teile, hat noch keinen Kopf, noch keine Arme, noch keinen Körper, der sicher auf zwei Beinen stünde. Rhythmen, Metren, Motive, Farben, dynamische Schattierungen – sie liegen gleichsam im Entwurf vor, sind skizzenhaft angedeutet, befinden sich in statu nascendi.


Auskomponierte Unordnung. Kalkuliertes Durcheinander. Konstruiertes Noch-nicht. Ein Schöpfer steht noch ganz am Anfang, und er läßt uns teilnehmen am anfänglichen Chaos. Und dieses Chaos heißt, wenn man Haydn beim musikalischen Wort nimmt: die Summe alles Möglichen im Rohzustand, bevor das Licht eines ordnenden Gedankens alle klangliche Wolken, Eruptionen und Nebelwände mit einem gewaltigen C-Dur-Schlag beseitigt.


Am Anfang schuf Haydn eine Welt. Und sie war voll von Verwüstungen. Ihre Formlosigkeit ist das Ergebnis eines formvollendeten schöpferischen Willens. So also greift einer weit in die kompositorische Zukunft, indem er sich in den Rohzustand aller Musik zurückdenkt.


Man prüfe also immer dann, wenn man merkt, daß man seinen eigenen Kram selber nicht mehr so genau versteht, ob sich daraus nicht eine kleine Geschichte formulieren ließe nach der Erkenntnis von Umberto Eco: „Was man nicht in eine Theorie zwingen kann, muß man erzählen“. Oder mit den Worten des schwarzen Advokaten im Film Philadelphia. Immer wenn der etwas nicht kapiert, sagt er seinem Gegenüber: „Stell Dir vor, ich bin sechs Jahre alt, und jetzt erklärst Du mir bitte das alles noch einmal von vorne“.



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