- 152 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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zu begreifen: Es wird niemand Bedeutendes mehr erwartet. Das Terzenspiel ist die Sache selbst.3
3 Diether de la Motte, Form in der Musik, Kassel u.s.w.: Bärenreiter 1979 (= Musik aktuell: Analysen, Beispiele, Kommentare für die Sekundar- und Studienstufe; Bd. 2), S. 45.


Die Rede ist von einem Debussy-Prélude: Les tierces alternées, II. Band. Und so fädelt de la Motte sprachlich den Beginn von Schuberts Fantasie f-Moll op. 103 ein:


Zuerst die Begleitung. Sie macht gespannt, weist hin. („Achtung, gleich kommt ...“) Sie eröffnet den Tonraum f-Moll und legt das Tempo fest, so daß das Thema mit der Grazie der Mühelosigkeit herbeischweben kann. Ein roter Teppich, ausgelegt für die Queen.4

4 de la Motte, a. a. O., S. 43.


Ich hatte einen Katalog angeboten und mit den Posten (1) (10) auf musikalische Merkmale hingewiesen, in denen Bild- und Anschaulichkeiten, damit auch analytische Betrachtungen im Kern enthalten sind. Machen wir an ein paar weiteren Beispielen die Nagelprobe. Nichts spricht dagegen, bestimmte Werke, in denen sich Merkmale und Eigenschaften gleichsam addieren, in Form eines Kochrezepts darzustellen. Wagen wir den Versuch an Ravels berühmtem Bolero. Mein Rezeptvorschlag lautet „Spanische Gemüsesuppe à la française“:


Man nehme eine schlichte Brühe. Bitte nur den Boden bedecken. Dann auf kleine Flamme stellen und streng darauf achten, daß die Flüssigkeit winzige rhythmische Blasen wirft. Nudeln in Flötenform beimengen und dann mit langen, melodischen Rührbewegungen unterziehen. Achtung: die Rührbewegungen müssen mit der Grazie eines Schlangenbeschwörers ausgeführt werden. Eine gute Prise (nicht Estragon, sondern) Saxophon einstreuen und mit einer Klarinetten-Karotte (gut gesäubert, nicht zerstückelt) kombinieren. Eine Messerspitze gestoßenes Englischhorn – das gleichmäßige Rühren nicht vergessen, am besten im Uhrzeigersinn! – dann dunkles Saxophon strähnig einbinden und darauf achten, daß sich Gemüse und Gewürze streifig vermischen. Allmählich die Flamme höher drehen und sich vergewissern, daß die Blasenbildung schön rhythmisch bleibt. Etwas Brühe zugießen. Salbei hinzu, aber un piccolo, mehr nicht. Gas etwas höher, nur ein bißchen. Weiter rühren, gleichmäßig bleiben. Lauch in Trompetenform schneiden und beifügen, noch nicht abschmecken. Gas eine Vierteldrehung höher, das Ganze muß weiterhin im Rhythmus gleichförmig blubbern, gelegentliche Spritzer sind nicht zu vermeiden. Salatblätter in Saitenform schneiden und glatt streichen, dann hinein in die Suppe. Nicht das Harfensalz vergessen, etwas Posaunenpfeffer drüber streuen. Flamme allmählich höher, Schwarzwurzel-Bässe dazu und meinetwegen noch einige Fagottini. Flamme hoch, den sämig verdickten Sud mit Kraft in Bewegung halten. Im Moment, wo Sie glauben, der Topf kocht über, mit Schwung vom Feuer nehmen und kräftig absetzen. Muß sehr heiß gegessen werden. Dazu frisch geröstete Ballett-Stangen. Getränkeempfehlung: Domaine du Bosc, gut gekühlt. Bon appétit!


Nichts spricht auch dagegen, musikalische Analysen in Form von Wegstreckenbeschreibungen abzufassen, von klinischen Befunden, Landkarten, fiktiven Dialogen, Tanzszenen, persönlichen Erinnerungen, Tagebuchnotizen, Briefstellen, Schnittmustern, Bauzeichnungen, Anekdoten, Hörspielszenen oder einem fiktiven Interview mit dem toten Komponisten. Nichts spricht auch dagegen, bei bestimmten


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