- 140 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Teiles im ersten Fall eine Subdominante mit leitereigener großer Septime aufweist (ebenfalls halbfrei bzw. durch stufenweise Abwärtsführung der Akzenttöne auf der jeweils ersten Zählzeit eingeführt) – bei der Wiederholung im nachfolgenden Takt ist er zugunsten der ausschließlichen Verwendung des Chopin-Akkordes eliminiert. Die kleine None der Ballade ist in klanglicher Hinsicht in ihrer Dissonanz-Wirkung der großen Septime im Semplice-Teil von Op. 22 ebenbürtig. Obwohl dort im Chopin-Akkord dieselbe Septime vorkommt wie in dem Septkakkord der vierten Stufe (Takt 68, 1. Viertel: c-h1 bzw. 2. Viertel: c1-h1), werden die beiden Akkorde als unterschiedlich scharf klingend erfahren: die Tatsache, daß im einen Fall die große Septime über dem Grund- bzw. Baßton steht, wirkt sich verschärfend aus gegenüber einer großen Septime, die ihrerseits auf der Dominantsept steht.


Auf eine ästhetische Bewertung dieser Ähnlichkeiten zwischen Ballade und Polonaisen-Einleitung sei hier verzichtet. Der Vorwurf der Selbstwiederholung oder Unoriginalität scheidet schon allein aufgrund der Unterschiedlichkeit der konkreten Gestaltung und der unterschiedlichen Einbettung in den Kontext aus, dennoch ist zu bedenken, daß Werkgrenzen nicht prinzipiell zugleich stets Grenzen „legitimer“ Motiv- oder Strukturbeziehungen sein müssen: sowohl was musikalische Zitate schlechthin angeht, als auch beispielsweise die Betrachtung von einheitlichen Momenten etwa innerhalb der drei späten Klaviersonaten von Schubert oder derjenigen Beethovens. Im übrigen ist es äußert zweifelhaft, ob sowohl die Beziehungen zwischen den beiden Werkausschnitten als auch die innerhalb der Ballade überhaupt bemerkt werden – in der vorliegenden Literatur finden sie jedenfalls keine Erwähnung.91

91 John Rink erinnert die Passage in Takt 33 an einen Abschnitt aus dem ersten Satz von Chopins op. 21 (Authentic Chopin: history, analysis and intuition in performance, in: Chopin Studies 2, a. a. O. [s. Anm. 82], S. 242 f., Anm. 72).

Die Einflußmöglichkeiten des Interpreten im Sinne einer Verdeutlichung sind beschränkt. Beziehungen zwischen verschiedenen Werken könnten immerhin durch ihre Zusammenstellung innerhalb eines Konzertes nahegelegt werden – Hinweise in Programmheften (etwa in Veranstaltungsreihen wie der Osnabrücker „Universitätsmusik“) täten ein übriges.


Wichtiger als die Beziehung zwischen Ballade und Polonaise sind diejenige innerhalb der Ballade. Sie können noch weiter vertieft werden: Verlängert man nämlich – angeregt durch die Parallelisierung von Takt 34 bis 36 mit den Takten 5 bis 9 – den Vergleich gewissermaßen nach rückwärts, so ergibt sich ein Schema, das es erlaubt, die musikalischen Inhalte von Takt 32 f. mit jenem der Einleitung insgesamt in direkte Relation zu setzen. (Die Noten der Einleitung sind


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