- 129 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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mehr in Parallelführung steht: zu erwarten wären in der rechten Hand die Klänge es1-es2 statt der tatsächlich geschriebenen Oktaven c1-c2. (Diese Abweichung gilt auch für die jeweils folgenden Takte.) Betrachtet man nun die Bildungsgesetze für die horizontalen Stimmen jeweils für sich, so zeigt sich folgendes: Für die Tenorstimme – die oberste der linken Hand – gilt das Gesetz eines stufenweisen Abwärtsführens: nach dem ersten Ansatz f1-es1-es1-d1 in Takt 36 erklingt ein neuerliches f1-es1-es1-d1, das mit d1-c1-b-a-g-fis (und an der Parallelstelle sogar noch mit es-d) fortgeführt wird. Die zu deren Hauptnoten zunächst streng parallel geführte Baßlinie weicht gegen Formteilende zugunsten einer Kadenzschrittführung C-D-D-G von dieser Gesetzmäßigkeit ab (Chopin legt – um die Tenorlinie dennoch fortsetzen zu können – die Sekundvorhalte in Takt 39 in die Mitte des Griffes der linken Hand bzw. geht an der Parallelstelle zu einer insgesamt etwas geänderten Gestaltung über). Die Sopranstimme hingegen verläßt die Parallelführung bzw. Verdoppelung zu den übrigen Stimmen zugunsten einer freien Setzung des Melodieverlaufes gegen Schluß des Abschnittes. Nachdem die Terz zwischen der 3. und 1. Stufe der Tonleiter nach einer Wechselnote stufenweise ausgefüllt wurde (b2-a2-b2 und b2-as2-g2), erfolgt das Neue: eine vom übrigen abgesetzte, aufsteigende Terz c1-es2, gefolgt von einer wiederum abgesetzten und aufwärts geführten, nun aber schrittweise ausgefüllten Terz g1-a1-b1. Vor dem Hintergrund des bisher über die Motivik Gesagten ist klar, daß damit wiederum zu den Kernmotiven der Ballade thematische Bezüge hergestellt sind (wobei eine zusätzliche Besonderheit hier die gleichzeitige Überlagerung thematischen Materials in verschiedenen zeitlichen Größenordnungen in den verschiedenen Stimmschichten bildet). Dies ist jedoch noch nicht die oben gemeinte kompositorische Vermittlung. Diese besteht vielmehr darin, daß bei der Wiederholung des Formteils die aufsteigende Terz g1-b1 zugunsten des Verlaufes fis1-g1 substituiert wird, so daß jener Melodieabschnitt, der von der Parallelführung abweicht, die Tonfolge g2-c2-es2-fis1-g1 bildet. Und eben diese Töne nun bilden in den folgenden Abschnitten die Kerntöne.


Notenbeispiel 19



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