mehr in Parallelführung steht: zu erwarten wären
in der rechten Hand die Klänge es1-es2 statt der
tatsächlich geschriebenen Oktaven c1-c2. (Diese Abweichung
gilt auch für die jeweils folgenden Takte.) Betrachtet man nun die Bildungsgesetze
für die horizontalen Stimmen jeweils für sich, so zeigt sich folgendes:
Für die Tenorstimme – die oberste der linken Hand – gilt das
Gesetz eines stufenweisen Abwärtsführens: nach dem ersten Ansatz f1-es1-es1-d1
in Takt 36 erklingt ein neuerliches f1-es1-es1-d1,
das mit d1-c1-b-a-g-fis (und an der Parallelstelle sogar
noch mit es-d) fortgeführt wird. Die zu deren Hauptnoten zunächst
streng parallel geführte Baßlinie weicht gegen Formteilende zugunsten
einer Kadenzschrittführung C-D-D-G von dieser Gesetzmäßigkeit
ab (Chopin legt – um die Tenorlinie dennoch fortsetzen zu können
– die Sekundvorhalte in Takt 39 in die Mitte des Griffes der linken Hand
bzw. geht an der Parallelstelle zu einer insgesamt etwas geänderten Gestaltung
über). Die Sopranstimme hingegen verläßt die Parallelführung
bzw. Verdoppelung zu den übrigen Stimmen zugunsten einer freien Setzung
des Melodieverlaufes gegen Schluß des Abschnittes. Nachdem die Terz zwischen
der 3. und 1. Stufe der Tonleiter nach einer Wechselnote stufenweise ausgefüllt
wurde (b2-a2-b2 und b2-as2-g2),
erfolgt das Neue: eine vom übrigen abgesetzte, aufsteigende Terz c1-es2,
gefolgt von einer wiederum abgesetzten und aufwärts geführten, nun
aber schrittweise ausgefüllten Terz g1-a1-b1.
Vor dem Hintergrund des bisher über die Motivik Gesagten ist klar, daß
damit wiederum zu den Kernmotiven der Ballade thematische Bezüge hergestellt
sind (wobei eine zusätzliche Besonderheit hier die gleichzeitige Überlagerung
thematischen Materials in verschiedenen zeitlichen Größenordnungen
in den verschiedenen Stimmschichten bildet). Dies ist jedoch noch nicht die
oben gemeinte kompositorische Vermittlung. Diese besteht vielmehr darin, daß
bei der Wiederholung des Formteils die aufsteigende Terz g1-b1
zugunsten des Verlaufes fis1-g1 substituiert wird, so
daß jener Melodieabschnitt, der von der Parallelführung abweicht,
die Tonfolge g2-c2-es2-fis1-g1
bildet. Und eben diese Töne nun bilden in den folgenden Abschnitten die
Kerntöne.
Notenbeispiel 19 |