- 112 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Grundton es1 in Takt 167, letztes Viertel, und derselben Töne (jedoch in anderer Funktion) im folgenden Takt und in derselben Taktposition. Diese Analogisierung einer klanglichen Härte hat in den vorhergehenden Formen keine Entsprechung: ein Interpret, der das Formgesetz der Veränderung des Seitensatzes im Verlauf des Stückes bewußt akzentuiert, wird diese Akkorde anders spielen als einer, der „nur die schönen Töne sucht“. Weitere Veränderungen stichwortartig: Lagenänderung (Höherversetzung) zwischen erstem Teil des Seitenthemas und dem Reprisenteil, Ausdehnung des „Obendrauf“ auf den ganzen ersten Takt dieses Reprisenteils, dadurch Sekundanschluß an den (ebenfalls stets bei jedem Auftreten des Seitensatzes geänderten) Mittelteil (sonst dort kleine Septime abwärts), erstmals Kerndominante in einer Umkehrungsform als Quintsextakkord, wobei die Terz d im Baß – hier muß der Mittelteil mit in die Betrachtung miteinbezogen werden – nach einem langen Orgelpunkt38
38 Die Baßführung war im Mittelteil bisher in seiner Führung von (Quintfall-)Sequenzen bestimmt, so daß – bei beibehaltener Sequenzierung der Oberstimmen – der Orgelpunkt zum auffälligen harmonischen Ereignis wird: sein Festzurren der Musik am harmonischen Boden verschärft den nach oben gerichteten Ausbruchsgestus der mit aufgesperrten Crescendo-Gabeln versehenen Melodiesequenzen; auch hier ein musikalischer Gesamtcharakter hektischer Erregtheit. Zu den sich im Mittelteil ergebenden harmonischen Konstellationen vgl. Christian Möllers, Reihentechnik und musikalische Gestalt bei Arnold Schönberg. Eine Untersuchung zum III. Streichquartett op. 30, Wiesbaden: Franz Steiner 1977 (= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft; Bd. 17), S. 33.

auf B stufenweise erreicht wird und aufs B zurückspringt (mithin eine Motivik der stufenweise ausgefüllten, vom Grundton aufsteigenden Terz mit anschließenden Terzsprung abwärts – eine Konstellation, die wiederum mit der Grundmotivik der Ballade in Beziehung gebracht werden könnte.)


Überblickt man zusammenfassend die verschiedenen Veränderung des Seitensatzes, die – worauf hier nicht in gleichem Maße explizit eingegangen wurde39

39 Vgl. dazu die Andeutungen in Anm. 30.

– auch jeweils den Mittelteil betrafen, so muß im Verlauf des Stückes ein Ausmaß an Veränderungen konstatiert werden, das mit der Idee der Sonatenform nur schwer zu vereinbaren ist, bei der im Laufe ihrer Entwicklung stärkere Abweichung zwischen Exposition und Reprise sich wohl eher zu Beginn des Reprisenteils – prototypisch etwa bei Brahms – einbürgerten (es ließe sich in diesem Punkt allerdings das Gegenargument anführen, daß gerade die Chopinschen Sonaten in der Reprise das Hauptthema gestrichen haben)40
40 Im allgemeinen wird in Kauf genommen, daß, um die Sonatenformauffassung beibehalten zu können, Haupt- und Seitensatz irregulär vertauscht worden seien; nimmt man hingegen an, in der Reprise sei der Hauptsatz gestrichen, so kann jener letzte Formteil vor dem Presto als Beginn einer zur zweiten Durchführung geweiteten Coda betrachtet werden.

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Haupt- und Seitensatz sowie ihr Verhältnis zueinander wurden bisher vor allem unter zwei Aspekten bedacht: erstens im Hinblick auf ihre mögliche gemeinsame Substanz, wobei davon ausgegangen werden mußte, daß in der G-Moll-Ballade diese Beziehung zwischen den zentralen Ideen beider eher poietischer, d. h. die


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