- 111 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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des Seitensatzes, wohl aber quasi eine Bestätigung der dort getroffenen Überlegungen ist der Sachverhalt, daß der Lösungsakkord der verschiedenen Dominantseptakkorde auch hier durchgängig ohne den Quintton gesetzt ist.)


Das dritte Auftreten des Seitensatzmaterials steht der zweiten Fassung näher als der ersten. Gleichwohl sind auch hier nochmals Unterschiede zu vermerken, die auch und vor allem den musikalischen Charakter betreffen: dieser scheint nun vom grandioso-Gestus des zweiten Auftretens in einen seltsamen, auch durch das vorhergehende musikalische Geschehen mitinduzierten Erregungs- und Unruhezustand versetzt. Dazu trägt nicht allein die Fortführung der zuvor erklingenden Achtelbewegung in der linken Hand anstelle der bisher verwendeten Viertelbewegung in der Begleitung bei, sondern auch die Änderungen der rechten Hand: das Kernmotiv ist zu Beginn des Seitenthemas seines ersten Akkordes beraubt, es setzt mitten im Takt ein und ist durch eine Pause vom Brückenmotiv abgetrennt; sein (quasi) volltaktiges Beginnen wird zugunsten einer Auftaktigkeit aufgegeben, die die Rhythmik dieses Motivs genau jener Form angleicht, wie sie Brückenmotiv und Kernmotivwiederholung ihrerseits bereits in Takt 107 bis 109 erhalten haben. Das Brückenmotiv ist seinerseits synkopisch auf die 3. Zählzeit nach vorn gezerrt (beide Motiveinsätze – Takt 166 und 167 – sind in ihrer Irregularität durch dynamische Akzente unterstrichen). Das Weglassen des ersten Akkordes bewirkt auch ein Vorherrschen fallender Linien: statt des Auf-und-Ab von f1-g1-es1 nur noch g1-es1 als obere und b-as-g als untere Akkordlinie. Es ergeben sich zudem auch interne Bedeutungsänderungen einzelner Töne: Beim ersten Auftreten des Seitensatzes waren letzter Ton des Brückenmotives und erster der Kernmotivwiederholung als zusammenfallende Noten, d. h. als Motiv- bzw. Tonverschränkung, komponiert. Bereits beim zweiten Auftreten des Seitensatzes waren die beiden Motive durch Setzweise und die Bogensetzung klar geschieden. Chopin schrieb – wie bereits angedeutet – in Takt 107 ff. zwei auftaktige, rhythmisch genau gleiche Motive, d. h. der Klang auf dem ersten Viertel von Takt 108 ist eindeutig nur noch Schlußton des Brückenmotives, nicht mehr zugleich Anfangston der Kernmotivwiederholung. Beim dritten Auftreten hingegen sind nun wieder Brücken- und anschließendes Kernmotiv zu einer größeren Einheit verschmolzen: nicht nur die Bogensetzung deutet darauf hin, auch ist die „Trennfuge“ zwischen erstem und zweitem Akkord durch das Bindemittel des Quartvorhaltes vor der Terz überbrückt. Daneben eine weitere harmonische Änderung: durch Hinzufügen der Sexte zur Tonika Es-dur als der charakteristischen Dissonanz der Subdominante in der zweiten Hälfte von Takt 167 wird auch der übliche Modulationsvorgang in die Oberquinte ein wenig nach vorn verlegt; ferner: harmonisch-funktional zwar weniger bedeutsam, dafür aber klanglich „ins Ohr stechend“ das gleichzeitige Anschlagen des Durchgangstones d2 mit dem


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