- 109 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Eine dritte Besonderheit schließlich ist, daß die Fortführung der parallelen Quarten bei der Lösung in die Tonika – wiewohl dort akkordeigene Töne ergebend – nicht stattfindet: es erklingt lediglich ein einzelner, nicht einmal ein doppelt behalster Ton. Geht man aber davon aus, daß Chopin Doppelbehalsung beim Zusammentreffen von Stimmen im allgemeinen nur bei unterschiedlicher Dauer der beiden zusammenfallenden Töne notiert, so kann argumentiert werden, daß die untere Stimme in denselben Ton mündet wie die obere, sie sich mithin als aufsteigende Sekundfortschreitung fortsetzt. In diesem Falle ergäbe sich sogar eine Analogie zum Hauptthema, bei dem der ebenfalls nur einfach behalste Zielton g1 in Takt 9 sowohl von der von der Terz b1 absteigenden Stimme erreicht wird wie auch vom aufsteigenden fis1 des Vortaktes. Die Auffassung als Einmündung in den Einklang beim Seitenthema im Unterschied zu einer Auffassung mit abspringendem oder gar ins Leere führendem Leitton könnte nun von einem Interpreten dem Hörer – etwa durch eine stärkere dynamische Hervorhebung der Unterstimme insgesamt – auch rein akustisch vermittelt werden; es ergibt sich ein musikalisch durchaus plausibler Verlauf: die so entstehende Unterstimme mit ihrem zusammenhängenden Tonleiterausschnitt hat sanglichen Charakter. Ein interessantes Schlaglicht ist in diesem Kontext, daß Robert Schumann – möglicherweise von Chopin inspiriert33

33 Die Tonartengleichheit spricht für sich. Der Zeitpunkt der Komposition dürfte wohl nach dem des persönlichen Zusammentreffens von Chopin und Schumann in Leipzig 1836 liegen, wo jener diesem u. a. auch Balladen vorspielte.

– eine ähnliche Stelle schrieb, bei der die Quartenparallelen allerdings bis in die Tonika fortgeführt sind.


Notenbeispiel 9:

Schumann: Davidsbündler Tänze op. 6, 2. H., Nr. 5



Vergleicht man die grandioso-Wiederholung des gesamten Seitenthemas im Fortissimo (Takt 106 ff.), die eine Steigerung ins bei Chopin exzeptionelle dreifache Forte erfährt, mit seinem ersten eher lyrisch-nachdenklichen Auftreten, so fällt neben den Lagenunterschieden und der in die Doppelgriffigkeit erweiterten Begleitung die Tendenz zur Oktavierung der Stimmen der rechten Hand auf. Zwar ist diese Oktavierung auch auf das Brückenmotiv ausgedehnt, das nun darüber


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