- 108 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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rechten Hand alle vier Formen identisch, sie bilden im wesentlichen Quartenparallelen, die klanglich als solche auch deutlich vernehmbar sind. Die erste Quarte c1-f1 selbst ist durch das Vorangehende aufs nachdrücklichste motivisch vorbereitet – sie ist Quinte und Oktave eines F-Dur-Klanges (die Durterz, angeschlagen in Takt 64 verhallt, es bleibt eine leerer, wiederholt bestätigter Quint-Oktavklang übrig). Eine erste spezifische Besonderheit dieser Stelle ist nun, daß Chopin die harmonische Funktion dieser Quart umdeutet, und zwar durch Hinzutretenlassen eines Baßtones, des Kontra-B, mit Staccatopunkt abgesetzt und mit anschließendem großem B und kleinem As. Durch dieses nachträgliche Hinzufügen eines sich als Baß- und Grundton durchsetzenden tiefen Tones und seiner kleinen Septime wird die Quarte selbst umgedeutet als große None und Quinte eines Dominantseptnonenakkordes (bei fehlender, jedoch unmittelbar darauffolgend nachgereichter Terz) – ein harmonisches Verfahren, das später etwa von Maurice Ravel in größerem Umfange genutzt werden wird. Eine zweite Besonderheit ist die Quartenparallele selbst: so wie die Dominantquinte entsprechend dem harmonischen Kerngedanken in die Sexte (Tredezime) weitergeführt wird, wird die darunterliegende None parallel (im Gegensatz zur üblichen, regelgerechten Fortführung) in die Dezime (bzw. Terz) überführt. Dieser – werkspezifische – harmonische Einfall lag für Chopin insofern nahe, als er die Verbindung zweier personalstiltypischer Elemente darstellt: des Chopin-Akkordes einerseits und der spieltechnischen Konstellation einer Doppelgriffstruktur andererseits.31
31 Das Argument mit der Doppelgriffstruktur erhält seine volle Evidenz erst vor dem Hintergrund der Systematik des vom Verfasser beschriebenen und von ihm sog. „Viertonmodelles“, einer Art satzgenerierenden spieltechnisch-harmonischen Subgrammatik Chopins (vgl., Frédéric Chopin..., a. a. O. [s. Anm. 16], S. 110 ff.).

(Bezieht man die Töne der linken Hand mit ein, so ergibt sich latent sogar ein parallelverschobener Sextakkord: as-c32
32 Eine weitere marginale Änderung betrifft noch den 4. Ton der Stimme der linken Hand; interessant im Zusammenhang mit dieser Änderung sind Feinheiten der ebenfalls, wenn auch geringfügig geänderten Pedalisierung.

Eben diese Form der Baßstimme tritt in den beiden weiteren Wiederholungen unverändert auf. (Die ex-negativo-Begründung für die Besonderheit der allerersten Form ist klar: die Idee der Umdeutung der Quarttöne, bei allen drei Wiederholungen nicht mehr vorkommend, macht die Präsenz des Grundtones auf der Eins erforderlich.)




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