- 106 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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So besehen, ist der Kern beider Themen identisch, nämlich die Fortführung des Chopin-Akkordes in die Tonika, d. h. eines Dominantseptakkordes mit der Sexte anstelle der Quinte, die – worauf der Jubilar stets hinwies – in der Funktionssymbolik mit der Zahl 13 zu versehen sei, um ihre essentielle Position über der Septe zu verdeutlichen: im einen Fall als Moll-, im anderen als Dur-Fassung. Beim Rekurs auf die Harmonik anstelle der bloßen Intervallfolge zur Bestimmung der ästhetischen „Einheit“ werden zudem für den Themenkopf des Hauptthemas die Gesamtheit seiner Melodietöne, nicht bloß deren drei bzw. vier einbezogen: sie sind als Brechung eines Akkordes zu verstehen; ja mehr noch: das Liegenlassen der verschiedenen Töne bis zum Taktende, gefordert nicht nur durchs Pedal, sondern mittels Doppelbehalsung ausnotiert, ordnet den ganzen Komplex einer klavierspezifischen Gestaltungsidee unter, dem eines in Notenwerten ausnotierten Arpeggios.


Wichtiger aber als die Gemeinsamkeiten sind die spezifischen, wenn auch im Sinne kontrastierender Ableitung aufeinander beziehbaren Differenzen: neben dem Gesamtaufbau der jeweiligen Themen – also ihre Kombination mit weiteren Phrasen bzw. Motiven27

27 Auffällig die konstruktiv-harmonische Opposition: beim ersten Thema ist das erste Motiv tonhöhenmäßig und harmonisch (zunächst) identisch wiederkehrend (bei jeweils bezüglich seiner Lage und Harmonik variiertem unmittelbar anschließendem zweiten „Sekund“-Motiv) – beim Seitenthema ist das erste Motiv bei seiner unmittelbaren, durch ein Sekundbrückenmotiv verbundenen transponierten Wiederholung harmonisch instabil.

, ihre Syntax und ihr Klaviersatz – ist auch musiktheoretisch ein Unterschied. Im Falle des Hauptthemas erfolgt die Auflösung des charakteristischen Intervalles – der ajoutierten, genauer: die Quinte ersetzenden Dominantsexte resp. der Terz über dem Grundton – stufenweise abwärts (die traditionellere, schon bei Beethoven oder Schubert nachweisbare Form28
28 Zwei Beispiele, von denen das eine auf das andere Bezug nimmt, sind die Anfänge zweier langsamer Sätze, der eine aus Beethovens Sonate C-Moll op. 10, Nr. 2, der andere aus Schuberts Des-Dur- bzw. Es-Dur-Sonate D 567/568. Der Chopin-Akkord im engeren Sinne als selbständiger Akkord findet sich bei Chopin beispielsweise in der Ballade op. 38, Takt 38 ff.

); die Akzentuierung des fraglichen Tones resultiert aus der Bewegungsumkehrung, sie ist „Gipfelton“ der Figur. Im Falle des Seitenthemas erscheint zunächst die Dominantquinte, die sodann in die Sexte weitergeführt wird, um danach unmittelbar in den Grundton der Tonika zu springen: harmonietechnisch gesprochen somit eine (im fraglichen Fall allerdings auf „relativ“ schwerer Zeit stehende) abspringende Wechselnote.


Ist es für den Interpreten nahezu unmöglich, die Gemeinsamkeit des Erfindungskernes zwischen Haupt- und Seitensatz durch spielgestalterische Maßnahmen dem unvorbereiteten Hörer zu vermitteln – es sei den, er griffe zu Verfahren


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