- 101 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Theorie und Praxis der Musik 
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Notenbeispiel 3


Mit der Erhebung von sogenannten Verzierungsnoten zu Elementen des motivisch-thematischen Diskurses ist eine heikle analytische Problematik berührt: die Frage der Überinterpretation, d. h. des Hineinlesens von Beziehungen in einen musikalischen Text, die eigentlich bloße Artefakte eines unreflektierten Verständnisses von Analyse sind. Dieser Gefahr erliegen verschiedentlich Analysen, die in ihren Kategorien am theoretischen Denken des Schönberg-Kreis orientiert sind. Nicht umsonst halten Interpreten wie Alfred Brendel beispielsweise Rudolf Rétis Analyse von Beethovens Opus 13 für unnötig kompliziert und Wesentliches übersehend11

11 Schuberts letzte Sonaten, in: Musik beim Wort genommen, München: Piper 1992, S. 97.

, die Mozart-Analyse von Johann Nepomuk David gar für absurd.12
12 A. a. O., S. 97, Fußnote.

Zumindest für komplexere Verzierungen scheint dieser Vorwurf im vorliegenden Falle der Chopinschen Ballade unangebracht: daß der Doppelschlag als präexistente, d. h. vom konkreten Werk und seiner individuellen Motivik unabhängige Tonkonfiguration lediglich Verzierung sei, widerlegt sein mehrfaches Vorkommen als musikalisch-melodisches Zentralmoment an unterschiedlichen Stellen des Werkes (siehe Notenbeispiel 4), in denen er auch fast stets in konkreten, metrisch definierten Notenwerten ausgesetzt, d. h. nicht als bloßes Verzierungssymbol abbrevierend niedergeschrieben erscheint. (Gemeint ist hier jeweils der Doppelschlag in seiner fünftönigen, d. h. mit der Hauptnote beginnenden Form.) Gleich unmittelbar zu Beginn in der Einleitung13
13 Daß der Einleitung als Keimzelle des Weiteren besondere Bedeutung zukommt, konstatierte bereits Hugo Leichtentritt (Analyse der Chopin’schen Klavierwerke, Bd. 2, Berlin: Max Hesse 1922 [= Max Hesses Illustrierte Handbücher; Bd. 58], S. 2); Günther Wagner versucht diese Behauptung zu relativieren (Die Klavierballade um die Mitte des 19. Jahrhunderts, München u. Salzburg: Katzbichler 1976 [= Berliner musikwissenschaftliche Arbeiten; Bd. 9], S. 15 f.).

tritt er erstmals in Takt 4 unbegleitet als Unisono auf, sodann in Takt 33 und schließlich im Rahmen des sog. „Zweiten oder Seitenthemas bzw. -satzes“14
14 Vgl. Anm. 7.

: zunächst an eher unauffälliger, quasi konventionell-abschließender Stelle innerhalb eines größeren Phrasenzusammenhanges in Takt 75 bzw. 81, um sodann bei der erheblich veränderten Wiederkehr eben dieses Seitensatzes in „Durchführung“ und „Reprise“ (Takt 110 f. sowie unter Einbeziehung „echter“ Verzierungsnoten in Takten 113 und 119 bis 12315
15 Der Pralltriller ist im mittleren Sequenzglied, Takt 121, in einer nur bei Chopin vorkommenden Notierungsweise ausgeschrieben und dabei als eine für seinen Klaviersatz typische Figur gestaltet.

einerseits

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