- 56 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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seien, werde auch »von höchster Stelle gerade in diesen Tagen eine allzu häufige Ehrung Pfitzners nicht gewünscht«. Nun könne man die erfolgte Verleihung nicht rückgängig machen, weil dies in der Öffentlichkeit einen falschen Eindruck evoziere; deshalb sehe sich das Ministerium in der Zwangslage, die Genehmigung nachträglich zu erteilen. Aber: eine »Veröffentlichung – auch in Zwickau – kann jedoch aufgrund der Sachlage unter keinen Umständen erfolgen.«31
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Drewes an Dost vom 27. Juni 1944, BArch, R 56 V/28, Bl. 13.

Wiederum glaubte Dost, Johst könnte ihm helfen, und wiederum täuschte er sich. Einige Tage nach Drewes’ deutlichem Brief wandte er sich auch in dieser Angelegenheit an seinen Präsidenten, es liege ihm daran, auch Johsts »Urteil in dieser Sache zu erfahren«. Zunächst wiederholte er die bekannten Schwierigkeiten mit dem Propagandaministerium und erklärte ausführlich die Umstände, die zu den Irritationen geführt hatten. Zutreffend hatte er dem Antwortschreiben von Drewes entnommen, daß man ihm sein eigenmächtiges Verhalten »sehr übel« nahm und daß auch v. Borries »darüber sehr verschnupft« sei. »Im Grunde genommen« (und diese Formulierung scheint seine Beteuerung ein wenig zurückzunehmen) sei es aber nie seine Absicht gewesen, »die Berliner Herren zu verärgern«. Allerdings könne er sich nicht des Eindrucks erwehren, daß man seitens des Propagandaministeriums die Dinge »absichtlich« habe hochkochen wollen. Darin sei er auch vom Parteigenossen Dr. Boetticher bestärkt worden, der ihm vertraulich mitgeteilt habe, Pfitzner sei bei den Goebbels-Leuten nicht sonderlich beliebt, weil diese nämlich »aus anderem Holz geschnitzt sind«. »Sie mögen Hans Pfitzner deshalb nicht, weil er gerade ist, seinen deutschen Charakter nie verleugnet hat und jedem seine offene Meinung sagt, wenn es sich um grundsätzliche Fragen der deutschen Kultur und Musik handelt.« Das verhalte sich im Amt Rosenberg ganz anders. Im übrigen weine er Herrn v. Borries »keine Träne« nach; für den könne man ohne Zweifel »guten Ersatz« bekommen, einen »von den jungen kämpferischen Nationalsozialisten«, etwa »Dr. Wolfgang Boetticher«. Der gehöre nämlich zu den »– weltanschaulich gesehen – zuverlässige[n] Männer[n]«.32

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Dost an Johst vom 3. Juli 1944, BArch, R 56 V/28, Bl. 9f. Zur Qualifizierung Boettichers als Nationalsozialist und über seine Rolle im Amt Rosenberg s. de Vries (1998), insbesondere S. 255–286. Wenngleich de Vries’ Untersuchung neben überschwenglichem Lob auch vernichtende Kritik erfahren hat, vor allem von Michael Walter im Internet, so teilt doch auch dieser Rezensent die von de Vries vertretene Auffassung, daß »Boetticher [. . . ] vor 1945 ein Nationalsozialist und Antisemit der radikalen Rosenbergschen Observanz war« (URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=149 [Stand 7. 2. 2003]).

Offensichtlich war es Dost nicht klar, wie intensiv und ernsthaft sich die Rivalitäten zwischen den verschiedenen NS-Kulturorganisationen und -verwaltungen (wie eben auch Amt Rosenberg und Propagandaministerium) gestalteten. Diese hatten sich schon lange vor der »Machtergreifung« angedeutet und erfuhren einen ihrer bedeutendsten Schübe durch Goebbels’ seit 1933 stark forcierte Absicht, eine


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