- 424 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Wilhelm war unbeweibt geblieben und wohnte, als er fünfzig zählte, in einigen Zimmern des neu errichteten Seitenflügels des Palastes, in die ihn der Nachfolger von Johann Käsehart, Johann Augustus Wurstart Friedrich, mit anderen höheren Bediensteten seines Hofes eingewiesen hatte. Sein Bein war nun ganz unbeweglich, und er bereitete ein neues Werk vor, welches er in französischer Sprache abzufassen gedachte, um damit auch der Kommission in Fontainebleau seine Aufwartung zu machen und sich damit für den Fall des Ablebens seines kaiserlichen Schutzherrn im Auslande einen Namen zu machen, und zwar unter dem Titel:

Pointillisme musical ou: Le son dans l’océan symphonique exemplifié par les plus grands œuvres réduits au minimum absolu

Da trat wiederum der Teufel zu ihm und sprach:
»Gib mir nun deinen wahren Namen, Wilhelm Altmann, und dein Bein wird ganz gesund.«

Wilhelm blickte lange Zeit auf sein angefangenes Manuskript.
»Nein«, antwortete er dann.

»Der Kaiser, dein Beschützer, ist in diesem Augenblicke tot. Deshalb bin ich hier«, sagte der Teufel. Wilhelm erschrak ins Herz hinein. Der Teufel aber ergriff nicht nur die goldene Krücke, welche am Tische lehnte, sondern brachte auch den hölzernen alten Stock, dessen Versteck hinter dem Kleiderschranke er ohne Besinnen erraten hatte, an sich. »Nun entscheide dich!«, fuhr er danach fort. Wilhelm schauderte zusammen. Der neue Kaiser Rothschild war als Feind der Imaginations-Lehre landauf landab bekannt und hatte bereits früher schon zum Kummer seines Vorgängers öffentlich bekundet, er könne zwar leider Wilhelmen die zugesagte lebenslange Rente nicht beschneiden, doch er werde diesen Lakonismen ein Ende bereiten, indem er deren Urheber aus dem Reiche verbannen werde. Er könne dann ja dem Franzmann oder den Polen seine Wunderwerke vorgaukeln.

»Gut, abgemacht«, sagte Wilhelm schließlich, und der Teufel verschwand unter höhnischem Gelächter. Wilhelm erhob sich ächzend, aber zu seinem Entsetzen trugen seine Beine ihn mühelos durchs Zimmer. Was sollte nun aus seiner Theorie werden, da einem kompletten und notenreinen Pedalspiel nichts mehr im Wege stand? Und wie sollte er seinem fürstlichen Herrn das Abhandenkommen der wertvollen Krücke erklären, ganz zu geschweigen seines leichtfüßigen Ganges?

Wilhelm zeigte sich tagelang nicht auf der Gasse, ließ verbreiten, er sei erkrankt, sorgte, daß das Orgelspiel von dem neuen Accessisten versehen werde, und schloß sein Werk auf jene lakonische Art ab, mit der er vordem im Pedalspiele sich bekannt gemacht hatte. Als es nach Wilhelms Tod erschien, maß es gerade


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